Revolutionäre unter sich

Norberts Welt ist eindeutig rosarot. "Unglaublich", rufen Abgeordnete der Opposition dazwischen, immer wieder wird die Rede von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) im Bundestag mit Spott bedacht

 Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt im Bundestag ihre Stimme für den schwarz-gelben Atomausstieg ab. Neben Außenminister Guido Westerwelle (rechts) wartet die saarländische CDU-Abgeordnete Nadine Schön darauf , ihre Stimmkarte in die Urne werfen zu können. Foto: Unger

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt im Bundestag ihre Stimme für den schwarz-gelben Atomausstieg ab. Neben Außenminister Guido Westerwelle (rechts) wartet die saarländische CDU-Abgeordnete Nadine Schön darauf , ihre Stimmkarte in die Urne werfen zu können. Foto: Unger

Norberts Welt ist eindeutig rosarot. "Unglaublich", rufen Abgeordnete der Opposition dazwischen, immer wieder wird die Rede von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) im Bundestag mit Spott bedacht. SPD-Chef Sigmar Gabriel fragt sogar: "Ist er es eigentlich selber oder sein Karikaturist?" Der Hohn rührt daher, dass Röttgen wirkt und spricht wie jemand, der gerade nackt über die Blumenwiese gelaufen ist und das großartige Gefühl unbedingt der Welt mitteilen muss. Dabei geht es im Parlament um Atomkraft."Die Bürger, die Gesellschaft, die Unternehmen, die Industrie", alle und nochmals alle "machen sich ans Werk, und es wird gut für unser Land sein, weil wir alle zusammenstehen". Baut auf, baut auf. Den eigentlich zwingend folgenden Satz "nun fasst euch alle an die Hände", lässt der Minister zum Glück weg. Das Werk heißt Energiewende. Allerdings ist es im Reichstag bei den abschließenden Beratungen der Atom- und Energiegesetze so, dass nicht nur Röttgen die Abkehr von der Kernkraft für sich reklamiert, sondern alle anderen Redner auch. Man erlebt ein Parlament voller Aussteiger.

85,5 Prozent für den Ausstieg

Deshalb ist die Debatte hitzig und emotional, alle Seiten versuchen, politisch zu punkten. Röttgen sorgt für Turbulenzen, er spricht vom "nationalen Gemeinschaftsprojekt" Atomausstieg. "Es ist die Koalition, die diesen Prozess angeführt hat." Spätestens da verlieren einige Grüne die Fassung. "Natürlich, das ist ein Lernprozess", ruft Röttgen noch. Lauter Jubel und Applaus branden auf, und zwar bei der Opposition. Aus ihrer Sicht ist dies der einzig realitätsnahe Satz in Röttgens Rede. Union und FDP, ätzt SPD-Chef Gabriel, hätten schließlich 30 Jahre Häme, Verleumdungen und Beleidigungen über die Atomgegner ausgeschüttet. "Dieser Ausstieg ist unser Ausstieg", fordert Gabriel Ehrlichkeit. Renate Künast von den Grünen schließt sich an. Gerührt dankt sie der Anti-Atomkraft-Bewegung, sie nennt sogar einzelne Protagonisten mit Namen. "Dieser Schritt gehört diesen Menschen." Bei Künast wird die historische Dimension der Ausstiegsentscheidung besonders deutlich. Auch für die grüne Partei.

Röttgen hat Gabriel angestachelt. "Alle Achtung", kommentiert der Sozialdemokrat dessen Rede. Vor sechs Monaten habe Röttgen noch die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke ähnlich enthusiastisch als revolutionär verteidigt. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi gibt Union und FDP darum den süffisanten Tipp, doch mal zu klären, "was eine Revolution und was eine Konterrevolution ist". Schallendes Gelächter bricht im Plenum aus. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) schaltet sich ein und stichelt: "Dafür werden Sie doch sicherlich Ihren Sachverstand zur Verfügung stellen." Die Debatte hat ungewöhnlich hohen Unterhaltungswert.

Gabriel betont, die Bürger hätten den Ausstieg "gegen die Koalition" durchgesetzt. "Wir beschließen aus voller Überzeugung, Sie aus Machterhalt und purem Opportunismus", kanzelt er Angela Merkel ab. Und einmal in Fahrt, setzt der Genosse zur Generalabrechnung an: Die Koalition habe nur zwei Projekte gehabt, die Laufzeitverlängerung und die Steuersenkungen. Das eine "beerdigen wir heute, die Steuersenkung im Bundesrat". Bitterböse ist sein abschließender Rat an Merkel: "Hören Sie einfach auf, das wäre der beste Neustart für Deutschland."

Die Gescholtene denkt gar nicht daran. Was für sie zählt, sind die Ergebnisse. 513 Abgeordnete und damit 85,5 Prozent votieren für den Ausstieg aus der Kernkraft bis 2022, das ist mehr als deutlich. Der Aufstand gegen die Kanzlerin in den eigenen Reihen ist ausgeblieben. Allerdings stimmen die Grünen mit nur sechs Enthaltungen geschlossener für den schwarz-gelben Atomausstieg als die Koalition selbst mit sieben Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen. Auch die Gesetze zur Energiewende passieren das Parlament. Beruhigt und entspannt verlässt Merkel den Reichstag. Sie fährt zum Flughafen und fliegt nach Koblenz zum Bauerntag. Eine Atempause gibt es nicht. "Dieser Ausstieg

ist unser Ausstieg."

SPD-Chef

 Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt im Bundestag ihre Stimme für den schwarz-gelben Atomausstieg ab. Hinter der Kanzlerin warten Minister und Bundestagsabgeordnete darauf , ihre Stimmkarten in die Urne werfen zu können. Foto: Unger

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt im Bundestag ihre Stimme für den schwarz-gelben Atomausstieg ab. Hinter der Kanzlerin warten Minister und Bundestagsabgeordnete darauf , ihre Stimmkarten in die Urne werfen zu können. Foto: Unger

Sigmar Gabriel

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