Kleine Unternehmen mit großer Fantasie

Brüssel. Für einen kleinen Teil der Damenwelt ist Irmgard Lehmann so etwas wie die letzte Hoffnung. Die Kölner Friseurmeisterin schaffte, was Kosmetik-Industrie und die Forschungslabore der Wirtschaft vergeblich versuchten: eine Therapie gegen die verbreitete Anomalie "Trichorrhexis nodosa"

Brüssel. Für einen kleinen Teil der Damenwelt ist Irmgard Lehmann so etwas wie die letzte Hoffnung. Die Kölner Friseurmeisterin schaffte, was Kosmetik-Industrie und die Forschungslabore der Wirtschaft vergeblich versuchten: eine Therapie gegen die verbreitete Anomalie "Trichorrhexis nodosa". Dabei handelt es sich um eine Krankheit, die brüchiges Haar so porös macht, dass Färbungen oder andere chemische Behandlungen beim Coiffeur unmöglich werden. Das Haar bricht sofort, manchmal noch im Salon. Sieben Jahre forschte und probierte die Kölner Friseurin, ehe sie mit ihrem Mann die Haartherapie THN erfand. Heute kommen ihre Kundinnen aus ganz Deutschland.

An Irmgard Lehmann wird EU-Forschungskommissar Janez Potocnik sicherlich nicht gedacht haben, als er gestern die Bilanz 2008 zu Forschung und Entwicklung der europäischen Industrie präsentierte. Trotz Krise legten die Investitionen der Betriebe um 8,1 Prozent zu. In Deutschland wurden 8,9 Prozent der Gewinne für Neuentwicklungen eingesetzt. Andere waren da noch fleißiger: Chinas Unternehmen gaben bis zu 40 Prozent aus.

Der Eindruck, dass Forschung und Entwicklung vor allem von den Großkonzernen getragen würden, täuscht. Vor allem die Deutschen Handwerkskammern und die Mittelstandsverbände verweisen mit Stolz auf Beispiele aus den eigenen Reihen. Einer von ihnen ist Josef Daldrup (Foto: dr). Der 55-jährige Unternehmer aus dem westfälischen Ascheberg übernahm mit 23 den Brunnenbohrbetrieb seines Vaters. Heute hat sein Geschäft 150 Angestellte und verfügt über 35 Bohrgeräte. Spezialisiert hat er sich inzwischen auf Anlagen zur Nutzung von Erdwärme (Geothermie).

Vor kurzem gelang dem bodenständigen Unternehmer ein besonderer Coup: Daldrup wird eine geothermische Anlage für den Flughafen Frankfurt erstellen. Unter den Start- und Landebahnen verbauen seine Experten Rohrschlingen, durch die Wasser fließt, das aus mehreren hundert Metern Tiefe hochgepumpt wird. Durch diese "Bodenheizung" kann sich der Airport im Winter das Räumen der Pisten für die Jets von Schnee und Eis sparen - und das alles völlig CO2-frei und ohne Kernenergie. Inzwischen türmen sich bei der Daldrup & Söhne AG über 800 Anfragen allein aus den Niederlanden. "Wir sind deutlich länger als ein Jahr ausgebucht", erzählt der Chef. Ein normales Reihenhaus könne pro Monat für 20 bis 25 Euro beheizt werden.

"Jeder in Forschung und Entwicklung investierte Euro zahlt sich aus", stellte auch EU-Kommissar Potocnik fest. In den kommenden fünf Jahren will Brüssel deshalb die Innovationsförderung in den Vordergrund der Kommissionsarbeit stellen. Präsident José Manuel Barroso hat bereits angekündigt, das bisher eher zweitrangige Ressort aufzuwerten. Immer mehr Mitgliedstaaten drängen darauf, den milliardenschweren Agraretat der Gemeinschaft endlich zurückzufahren, um Finanzmittel für die kostspielige Entwicklung neuer Technologien freizubekommen. Es wird offen darüber nachgedacht, aus dem Forschungsressort zusammen mit der Industriepolitik ein neues Zukunftskommissariat in Brüssel zu schneidern. Ein Name für dessen Chef kursiert bereits: Günther Oettinger, Berlins künftiger Vertreter in der Barroso-Runde, sei an dem neuen Super-Ressort sehr interessiert, heißt es.

Meinung

Einfallsreichtum zahlt sich aus

Von SZ-Korrespondent

Detlef Drewes

Es gibt sie, die Hoffnungsträger. Und die sitzen nicht nur in den Konzernetagen, wo sie Milliarden in Forschung und Entwicklung umlenken. Sie stehen auch in Friseur-Salons, an Werkbänken oder an Brunnenschächten. Forschung und Innovation haben viele Gesichter. Und es geht beileibe nicht immer nur um Millionen-Investitionen. Es beginnt, sich auszuzahlen, was teilweise schon vor vielen Jahren angelegt wurde: ein Bündnis für Innovation. Das klingt nicht besonders "sexy". Die Erfolgsgeschichten aber sind es.

Tatsächlich hat nur der eine Marktchance, der nicht stehenbleibt. Das gilt für die großen Automobil- oder Elektronik-Konzerne ebenso wie für Handwerker und andere Unternehmen. Genau genommen ist der Fall Quelle der beste Beleg dafür, was passiert, wenn man neuere Entwicklungen verschläft: Versandhandel ohne Internet - das funktioniert nicht mehr.

Andere machen vor, wie es geht. Und manchmal sind es gerade die Kleinen, die die Großen jagen. Auf die lohnt es sich, stolz zu sein.

Hintergrund

In Forschung und Entwicklung investiert vor allem die Automobilindustrie - 17,1 Prozent der Betriebsmittel. Laut einer Umfrage der EU-Kommission investierte Volkswagen rund 20 Prozent, Toyota gab 6,5 Milliarden Euro aus. Allerdings haben Autobauer wie Renault, Daimler und BMW ihre Investitionen wegen der Krise um rund neun Prozent reduziert.

Aus den USA kommen fünf der investitionsstärksten Betriebe (darunter Microsoft, General Motors und Pfizer). Das meiste Geld geben die Pharma-Branche und der Biotechnologiesektor aus. Hier liegt Boehringer Ingelheim mit 21,9 Prozent auf Platz zwei. dr

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