Katholische Kirche will reinen Tisch machen

Bonn. Es ist ein dunkles Kapitel, das schwer auf der katholischen Kirche lastet: der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche. Jahrzehntelang war das Thema ein Tabu. Die Kirche hatte sich gar "Geheimhaltung" auferlegt. Damit ist es inzwischen vorbei

Bonn. Es ist ein dunkles Kapitel, das schwer auf der katholischen Kirche lastet: der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche. Jahrzehntelang war das Thema ein Tabu. Die Kirche hatte sich gar "Geheimhaltung" auferlegt. Damit ist es inzwischen vorbei. Nun wollen die Bischöfe eine umfassende und systematische "Aufarbeitung"- dazu lassen sie erstmals auch unabhängige Wissenschaftler und Juristen die Vorfälle prüfen. Die Initiative der Bischöfe mit zwei externen Forschungsprojekten soll mehr Licht in das Geschehen bringen. Sie soll zugleich auch für Glaubwürdigkeit sorgen, die stark gelitten hat und auch die Zahl der Kirchenaustritte nach oben trieb. "Kinder und Jugendliche sowie auch ihre Eltern und Sorgeberechtigten sollen die Kirche als einen positiven und sicheren Ort erleben", sagte der Trierer Bischof und Missbrauchsbeauftragte Stephan Ackermann (Foto: dpa) bei der Vorstellung der Projekte gestern in Bonn.Bis ins Jahr 1945 zurück sollen Daten aus Archiven und Personalakten ausgewertet werden. Außerdem sollen Opfer wie auch Täter gehört werden. Es gehe ihnen um eine "ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme", lautet die Vorgabe der Bischöfe. Sie wollen auch kirchenfremden, juristischen Experten Einblicke in Daten gewähren. Direkten Archivzugriff sollen nur eigene Mitarbeiter haben.

Da wartet eine immense Arbeit: Allein weit mehr als hunderttausend Personalakten müssen durchforstet werden. Die Auswertung soll zwar von unabhängigen Wissenschaftlern des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) unter Leitung von Prof. Christian Pfeiffer vorgenommen werden. Doch dann ist die Kirche wieder am Zug. "Die Kirche hat zu entscheiden, wie sie mit unseren Ergebnissen umgeht", sagte Pfeiffer.

Neben der Aufklärung und belastbaren Daten zur Zahl der Fälle ist eine bessere Prävention das Ziel. Welche Täterprofile gibt es? In welchen Situationen kommt es zum Missbrauch? Welche Einflüsse förderten die Tat? Wie verhielt sich die Kirche gegenüber Täter und Opfern? Zieht die Kirche mit ihren Strukturen etwa pädophil veranlagte Männer an? Aus den Antworten der Wissenschaftler sollen Schlüsse gezogen und das Präventionskonzept überprüft und falls nötig ergänzt werden.

Nach bisher vorliegenden Untersuchungen in Deutschland und anderen Ländern sei davon auszugehen, dass sich die große Mehrheit der Missbrauchsfälle in den 50er, 60er und 70er Jahren ereignet habe, sagte Pfeiffer schon mal vorab. Auch aus den jüngsten Meldungen von Opfern bei der Kirche gehe hervor, dass Missbrauchsfälle überwiegend mehr als drei Jahrzehnte zurücklägen. Bei der Studie sollte "dieser Unterschied von Vergangenheit und Gegenwart möglichst klar herausgearbeitet werden".

Die Aufklärungsoffensive der Bischofskonferenz wurde mehr oder weniger erzwungen, denn die Kirche stand seit dem Bekanntwerden von immer mehr Fällen sexuellen Missbrauchs in der Defensive. Viele Opfer fanden erst nach langem Schweigen, den Mut, über ihr Leid zu sprechen und sich zu melden. Wie viele Opfer es sind, ist unklar.

Einige hundert Opfer haben sich mittlerweile mit Anträgen auf Entschädigung gemeldet. Genaue und bundesweite Zahlen werden von der Bischofskonferenz nicht genannt. Er habe den Bischöfen auch geraten, solche Zahlen erst einmal nicht herauszugeben, bevor es nicht einheitliche Kriterien gebe, sagte Ackermann. Jedem Opfer, das sich meldet und dessen Angaben auch Überprüfungen standhalten, will die Kirche bis zu 5000 Euro Entschädigung zahlen.

Hintergrund

Nach einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) gab es in den vergangenen drei Jahren an jeder zweiten Schule Kinder, die über sexuellen Missbrauch meist im familiären Umfeld berichteten. In Internaten waren es 70 Prozent, in Kinderheimen sogar 80. Letzteres führt DJI-Direktor Thomas Rauschenbach auf die engen Bindungen dort zurück: "Das ist der intimste und privateste Ort, das ist die Ersatzfamilie."

Inzwischen brechen immer mehr Menschen ihr Schweigen: Bei der Hotline, die die Missbrauchsbeauftrage Christine Bergmann im Mai 2010 eingerichtet hat, gehen täglich noch 50 Anrufe ein. dapd/kna

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