"Es ist einfach entsetzlich"Das Saarland setzt auf Notfallpläne und Krisenteams

Ludwigshafen. In Ludwigshafen steht den Menschen gestern die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. "Was für Zeiten sind angebrochen, wenn sich Schüler und Lehrer in ihren Klassenzimmern nicht mehr sicher fühlen können?", fragt eine 18-jährige Abiturientin, die vor dem Polizeipräsidium in der Innenstadt steht

 Polizeibeamte sichern nach der Bluttat das Gebäude der Berufsschule. Foto: dpa

Polizeibeamte sichern nach der Bluttat das Gebäude der Berufsschule. Foto: dpa

Ludwigshafen. In Ludwigshafen steht den Menschen gestern die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben. "Was für Zeiten sind angebrochen, wenn sich Schüler und Lehrer in ihren Klassenzimmern nicht mehr sicher fühlen können?", fragt eine 18-jährige Abiturientin, die vor dem Polizeipräsidium in der Innenstadt steht. Wenige Stunden zuvor war ein 23-Jähriger im Stadtteil Mundenheim mit einem Messer und einer Schreckschusspistole bewaffnet in seine frühere Berufsschule eingedrungen und hatte seinen früheren 58-jährigen Mathematik- und Werklehrer getötet. Der Grund: Rache für angeblich unverdient schlechte Noten."Sehr große Wut" soll er auf das Opfer - einen Familienvater - gehabt haben, sagt der stellvertretende Leiter der Ludwigshafener Polizei, Franz Leidecker. Sichtlich bewegt sprachen Ermittler über die Tat, die rheinland-pfälzische Kultusministerin Doris Ahnen (SPD) kämpfte um Fassung. "Sie sehen mich fassungslos", sagte sie.Fassungslos waren am Morgen auch die Schüler der Berufsschule. Aufgeregt und noch unter Schock liefen sie vor den evakuierten Gebäuden auf und ab, versuchten Informationen zu bekommen über das schreckliche Geschehen. Gerüchte verbreiteten sich wie Lauffeuer: Rasch hatte das Wort "Amoklauf" die Runde gemacht, mehrere Schüsse sollten angeblich gefallen und der Täter noch in einem Gebäude sein. Erinnerungen an Amokläufe wie vor einem Jahr in Winnenden wurden wach. Wie damals am 11. März waren alle Gebäude der Schule abgeriegelt, mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten standen Wache, ein Polizeihubschrauber kreiste über dem Gelände. Mit einem Großaufgebot war die Polizei zum Tatort angerückt, unter ihnen schwarz gekleidete Spezialeinsatzkräfte mit Maschinenpistolen. Erst am Nachmittag wurden erste Einzelheiten bekannt: Der junge Mann soll gegen 10.00 Uhr in ein Werkstattgebäude gegangen und dort auf der Kellertreppe auf den verhassten Lehrer getroffen sein. Dort soll es zu einem Handgemenge gekommen und der Lehrer dabei mit einem "Kampfmesser" schwer verletzt worden sein, sagt Leidecker weiter. Der Lehrer starb wenig später kurz nach dem Eintreffen der Rettungskräfte. Der Täter soll weiter ins Hauptgebäude gegangen sein, dort mehrere Schüsse abgegeben und schließlich im obersten Stock ein Feuer entzündet haben. Ob die Flammen Brandalarm auslösten oder ob der Täter dies selbst machte, sei derzeit noch unklar. "Wir stehen erst am Anfang der Ermittlungen", sagte der leitende Oberstaatsanwalt Lothar Liebig. Fest stehe laut Leidecker nur, dass die Feuerwehr Zeuge der Schüsse wurde und die Polizei verständigte. "Durch das besonnene Verhalten der Rettungskräfte wurde sicher Schlimmeres verhindert", lobt Bürgermeister Wilhelm Zeiser. Vier Polizeibeamte, die in das Gebäude stürmten, konnten den Täter stellen, der sich widerstandslos habe festnehmen lassen. Der Ex-Schüler soll ohne geregelte Arbeit und seit dem vergangenen Jahr in einer Berufsförderungsmaßnahme sein. Auch wenn der 23-Jährige mehrere Lehrer angriff: "Wir vermeiden das Wort Amoklauf", hatten am Vormittag sowohl Polizeisprecher Michael Lindner als auch am Nachmittag alle Beteiligten betont. Sie nennen es lieber eine "akute Bedrohungslage". Weitere Verletzte gab es nicht. "Wir haben gehofft und mit Nachdruck gewünscht, dass so etwas an eine rheinland-pfälzischen Schule nicht passiert", sagte Bildungsministerin Ahnen. "Es ist einfach entsetzlich".Das Gerücht, es habe schon seit längerer Zeit Spannungen an der Ludwigshafener Berufsschule gegeben, hält Bürgermeister Zeiser nicht für stichhaltig. "Es gibt an jeder Berufsschule schwierige Schüler", sagt er. Alles in allem sei ihm aber über allgemein schwierige Verhältnisse, gar Spannungen an der Schule nichts zu Ohren gekommen. Man habe sich schon darauf geeinigt, Notfall-Handys für Lehrer zu bestellen, so dass sie im Notfall miteinander rasch kommunizieren können: "Die Handys sind bestellt, aber ausgeliefert sind sie leider noch nicht", sagt Zeisler sichtlich ratlos. "Was die Prävention angeht, sind wir in Ludwigshafen schon weiter als viele andere Kommunen", fügt er hinzu. Doch wenn Kriminalität und falsches Denken in den Köpfen herrschten, sei es eben schwierig, solche Taten zu verhindern.Saarbrücken. Das Saarland hat im vergangenen Jahr seine Bemühungen verstärkt, Gewalttaten an Schulen zu verhindern. Nach dem Amoklauf von Winnenden im März 2009 erarbeitete das Bildungsministerium zusammen mit dem Landesinstitut für präventives Handeln (LPH) in St. Ingbert einen Ratgeber für die Schulen, was bei Amokläufen und anderen Bedrohungen zu tun ist. Im Zusammenhang mit diesen "Notfallplänen" wurde den Schulen auch nahe gelegt, so genannte Krisenteams zusammenzustellen. "Denn in einem Ausnahmezustand muss eine Schule noch handlungsfähig sein", erklärt Bernhard Schmitt, beim LPH zuständig für "pädagogische Prävention". Da seien im Notfall oft schwerwiegende Entscheidungen zu treffen: Soll etwa eine Schule rasch evakuiert werden, oder ist es im Gegenteil lebensrettend, wenn sich Lehrer und Schüler in den Klassen einschließen? Die Krisenteams, die von den Schulen noch nicht benannt wurden, sollen für ihre Aufgaben geschult werden. "Die Teams müssen auch vorbeugend aktiv werden, indem sie sich mit der Schulentwicklung beschäftigen", so der Präventionsexperte. Das St. Ingberter Institut bietet auch Fortbildungen zum Thema Gewalt an Schulen an. Information und Sensibilisierung sind notwendig, schließlich kündigen Täter häufig schon Wochen vorher einen Amoklauf an, senden zumindest bestimmte Signale aus. Von Vorbeugung mit Hilfe von Wachpersonal und Kameras, wie sie etwa in Frankreich eingesetzt werden, hält Schmitt wenig. Wichtig sei vielmehr, "unseren Kindern eine hohe soziale Kompetenz mitzugeben - schon im Kindergarten". An den Schulen seien Vertrauenslehrer und Schoolworker wichtig. Derzeit sind nach Angaben des Ministeriums für Arbeit, Familie, Prävention, Soziales und Sport insgesamt 52 Sozialpädagogen an bisher 98 weiterführenden Schulen aktiv. Trotz aller Anstrengungen ist Schmitt aber ebenso wie die zuständige Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) überzeugt: "Wir werden Taten wie die in Ludwigshafen nie ganz ausschließen können." sa

HINTERGRUNDJugendliche haben mehrfach Lehrer verletzt oder getötet:Juli 2008: In Biberach sticht ein 15-Jähriger mit einem Küchenmesser auf seinen Lehrer ein und verletzt ihn.Juli 2003: Ein Realschüler im fränkischen Coburg schießt während des Unterrichts auf seine Klassenlehrerin und verletzt eine Schulpsychologin. Danach tötet sich der Jugendliche. Die Lehrerin bleibt unverletzt.Februar 2002: In einer Berufsschule im oberbayrischen Freising tötet ein 22-Jähriger den Direktor und verletzt einen Lehrer schwer. Anschließend tötet er sich selbst.März 2000: Weil er von einem Realschulinternat in Brannenburg (Bayern) verwiesen wurde, schießt ein 16 Jahre alter Schüler dem Leiter der Anstalt in den Kopf und verletzt sich selbst schwer. Der 57-Jährige stirbt einigeTage später.November 1999: Im sächsischen Meißen stürmt ein 15 Jahre alter Gymnasiast maskiert in ein Klassenzimmer. Er tötet vor den Augen der Schüler seine Lehrerin mit 22 Messerstichen. Er wird kurz darauf gefasst.dpa

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