Ein amerikanischer Traum

Washington. Die Deutschen kennen sie von ihrer glamourösen Seite: Michelle Obama zu Besuch bei der Queen im Buckingham Palace. Oder im strahlenden Ballkleid. Oder als Botschafterin für die Olympiabewerbung ihrer Heimatstadt Chicago. Doch das ist Oberfläche. Sie ist keine Modepuppe an der Seite des ersten Afroamerikaners im Weißen Haus

Washington. Die Deutschen kennen sie von ihrer glamourösen Seite: Michelle Obama zu Besuch bei der Queen im Buckingham Palace. Oder im strahlenden Ballkleid. Oder als Botschafterin für die Olympiabewerbung ihrer Heimatstadt Chicago. Doch das ist Oberfläche. Sie ist keine Modepuppe an der Seite des ersten Afroamerikaners im Weißen Haus. Sie revolutioniert das Bild der schwarzen Frau in den USA. Sie prägt das Amt der First Lady neu. Weder ist sie die traditionelle Nebenfigur an der Seite des Präsidenten mit Zuständigkeit für die drei K: Kinder, Küche, Karitatives. Noch ist sie eine zweite Hillary Clinton, die eine eigene Rolle in der Regierung forderte. Hochpolitisch ist Michelle gleichwohl. Sie macht gerade ihre zweite große Karriere. Schon die erste war beeindruckend: Sie stammt aus einem Arbeiterhaushalt in Chicago, studierte in Princeton und Harvard, stieg ins Führungsmanagement der Universitätsklinik Chicago auf. Dort verdiente sie ein sechsstelliges Jahresgehalt, brachte zwei Kinder zur Welt und unterstützte nebenbei den Aufstieg ihres Mannes. Ihre zweite Karriere stellt diesen Erfolg noch in den Schatten. In den ersten acht Monaten im Weißen Haus hat sie sich ihren Platz in den Herzen der Amerikaner erobert, trotz der Anfeindungen im Wahlkampf und mancher Rassenvorbehalte.Der Popularitätssprung ist atemberaubend: Im Sommer 2008 lag die Zustimmung zu ihr bei nur 40 Prozent. Damals hieß es, Michelle sei eine Belastung für Baracks Kandidatur. Nun ist sie plötzlich der Liebling der Nation und mit über 70 Prozent Zustimmung populärer als ihr Mann und zugleich beliebter als ihre weißen Vorgängerinnen.Wie macht sie das? Erfolgreich hat sie das Zerrbild einer Revolutionärin vertrieben. Die erste schwarze First Lady zeigt bevorzugt Seiten, die den skeptischen weißen Bürgern in Amerikas Kleinstädten und auf dem Land beruhigend normal vorkommen. Michelle tritt ihnen als sorgende Mutter gegenüber, als Mittelpunkt ihrer Familie, als Gärtnerin, Hundehalterin und oberste Schutzpatronin der Soldaten. Damit bedient sie Identifikationswünsche - und korrigiert zugleich Vorurteile über Afroamerikaner. Viele Weiße verallgemeinern zum Beispiel Statistiken, nach denen die Zahl unehelicher Geburten und Scheidungen unter Afroamerikanern über dem Durchschnitt liegt. Michelle, Barack und ihre zwei Töchter Malia (elf) und Sasha (acht) stehen für die heile schwarze Familie und sind der lebende Beweis für Aufstieg durch Bildung, Ehrgeiz und Disziplin.Die Aufgaben der First Lady nimmt sie ernst. Doch wichtiger ist ihr die Verantwortung als Mutter. Das gefällt auch Republikanern. Für die Töchter gilt: erst die Hausaufgaben, dann die Annehmlichkeiten im Weißen Haus, vom Schwimmbad bis zum privaten Kino. Malia und Sasha müssen ihre Betten selbst machen und den Wecker rechtzeitig für die Schule stellen.Traditionell und modernHäufig geht Michelle Obama in Schulen. "Lasst euch nicht einreden, es fehle euch an Begabung, um eure Träume zu erfüllen", sagt sie dann. In Amerika kann jeder alles werden. Ihr hat niemand vorhergesagt, dass sie einmal im Weißen Haus wohnen werde. Im Wahlkampf hatten viele an ihrem Patriotismus gezweifelt, weil sie manches an den USA kritisierte: zum Beispiel, dass 47 Millionen Menschen keine Krankenversicherung haben. Nun tritt sie als Fürsprecherin der Soldatenfrauen auf, deren Männer verletzt aus dem Irak oder Afghanistan heimkehren. Michelle steht häufig vor der Flagge, singt die Nationalhymne, die Hand auf dem Herzen. Wer wollte ihr jetzt noch die Vaterlandsliebe absprechen? Die Bilder von ihr mit dem Spaten in der Hand im neuen Küchengarten des Weißen Hauses sind beides zugleich: traditionell und modern. Arbeit auf der eigenen Scholle, aber ökologisch korrekt. Und natürlich bekamen die Obamas einen Hund. Ohne Haustier ist die amerikanische Bilderbuchfamilie unvollständig. Ist das die echte Michelle oder ein Propagandabild? Von allem ein bisschen. Ihr Leben war und ist voller Widersprüche. Sie lebt eine moderne Partnerschaft mit Barack. Das ging aber nicht ohne Enttäuschungen ab. Kinder und Karriere waren mit diesem Mann nicht einfach zu vereinbaren. Gerade Michelles Zweifel und Kämpfe machen ihre Biografie so interessant. Christoph von Marschall ist Autor der Biografien "Michelle. Ein amerikanischer Traum", Orell Füssli Verlag Zürich 2009, 192 Seiten mit acht Seiten Bildteil, 19,90 Euro. Und: "Barack Obama. Der schwarze Kennedy", gleicher Verlag, 19,90 Euro. "Meine Mutter hat mir beigebracht, Unwahrheiten einfach zu übergehen. Menschen können viele Dinge sagen, aber man selber muss wissen, wer man ist und was man kann."Michelle Obama

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