Die Nacht der großen Gefühle

Chicago. Um Punkt 22 Uhr Ortszeit wird aus der Nacht der Träume die Nacht der Tränen. Die US-Fernsehsender haben soeben nahezu zeitgleich den Erfolg Barack Obamas in Kalifornien und damit den Gesamtsieg im Etappen-Rennen um das Weiße Haus verkündet

Chicago. Um Punkt 22 Uhr Ortszeit wird aus der Nacht der Träume die Nacht der Tränen. Die US-Fernsehsender haben soeben nahezu zeitgleich den Erfolg Barack Obamas in Kalifornien und damit den Gesamtsieg im Etappen-Rennen um das Weiße Haus verkündet. Und die 68-jährige Judie Sarver, die fünf Stunden Zugfahrt aus Detroit in Kauf genommen hat und sich unter die mehr als 250000 im Grant Park von Chicago gemischt hat, greift zum ersten von vier Paketen Taschentücher. Schon für Al Gore und John Kerry hat sich die pensionierte Lehrerin als Freiwillige engagiert, doch was sich in diesen Minuten abspielt, ist für die Demokratin "der Höhepunkt meines Lebens, der glücklichste Tag".Judie Sarver schämt sich ihrer Emotionen nicht. Und ist damit nicht allein. Aus der Fanmeile für Obama wird in der kristallklaren warmen Nacht ein jubelndes Menschenmeer, beherrscht von großen Gefühlen. Chicago ist Barack Obamas Heimatstadt. Dort, wo der Jung-Anwalt die ersten politischen Schritte als Bundesstaats-Senator unternahm. Nun schließt sich der Kreis. Und Jim, der schwarze Taxifahrer von der Chicagoer South Side, feiert mit Michael, dem weißen Bankberater aus Evanston im Norden der Millionenstadt. "Ich habe eine Gänsehaut", sagt Jim, dessen Touren ihn gelegentlich in den Hyde Park führen - wo der künftige Präsident bisher gewohnt hat. Auch für ihn ist es ein historischer Moment. Für den Helden der Nacht ist Panzerglas rund um das Rednerpult installiert, als Barack Obama gegen 23 Uhr die Bühne betritt. Im Hintergrund wehen Sternenbanner-Fahnen, und wieder jubeln und weinen die Fans. Der Wahlsieger zeigt in der Stunde seines größten Triumphes auch Momente der Bedrückung. Man spürt die Trauer, die ihn noch nach dem Tod der Großmutter am Vortag beherrscht, und die Last der Verantwortung. Seine Rede, in der er die "Herausforderungen von morgen" skizziert und vor allzu hohen Erwartungen warnt, nennen die meisten Kommentatoren später "präsidial" - und sehen Ernsthaftigkeit und Entschlusskraft, in erster Linie den Interessen Amerikas zu dienen. "Der Wandel ist nach Amerika gekommen", sagt Barack Obama, "der amerikanische Traum lebt." Und fügt wenig später an: "Wir werden stark sein." "Yes we can", skandiert die Menge den Schlachtruf des Demokraten, als dieser die Rede beendet und seine Frau Michelle und die Kinder umarmt. Während sich Barack Obama noch hinter den Kulissen bei seinen Beratern bedankt, haben viele seiner Unterstützer bereits die nahe gelegen Bars besetzt. Tausende, die keinen Platz mehr finden, ziehen singend durch die Innenstadt. Und im noblen, an den Grant Park angrenzenden "Hilton"-Hotel prallen zwei politische Welten aufeinander. Im "Internationalen Ballsaal" feiern die Demokraten. Nur wenige Schritte entfernt, im angrenzenden "Crystal"-Saal, sitzen zwei Dutzend Republikaner vor Sekt, der angesichts des niederschmetternden Ergebnisses niemandem schmecken will.

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