Weltbürger im Weißen Haus

Barack Obama steht für unaufgeregten Pragmatismus und verändert das Image der USA über Nacht. Und er verspricht eine neue Politik mit einem anderen Stil. Mit 47 Jahren repräsentiert der designierte Präsident den Durchbruch einer neuen Generation von Amerikanern, die mit Internet und Globalisierung groß geworden ist

Barack Obama steht für unaufgeregten Pragmatismus und verändert das Image der USA über Nacht. Und er verspricht eine neue Politik mit einem anderen Stil. Mit 47 Jahren repräsentiert der designierte Präsident den Durchbruch einer neuen Generation von Amerikanern, die mit Internet und Globalisierung groß geworden ist. Weniger an den Kulturkriegen der Bush- und Clinton-Ära interessiert als an pragmatischer Politik, die konkrete Antworten auf drängende Probleme sucht. In dem Weltbürger aus Hawaii hat die "Yes-we-can"-Generation ihre Stimme gefunden.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise half Obama, Bedenken in anderen Teilen der Bevölkerung zu zerstreuen. Mit ruhiger Hand steuerte der Jung-Senator durch den Sturm an der Wall Street, während der "erfahrene" John McCain in kopflosen Aktionismus verfiel. "Die Wähler erlebten in Echtzeit, wie die Kandidaten reagieren, wenn das rote Telefon nachts um drei Uhr klingelt", beschreibt David Gergen, Berater mehrerer ehemaliger Präsidenten, die Bedeutung dieser Phase im Wahlkampf. Sie festigte das Image Obamas als "cooles", unaufgeregtes Oberhaupt. "Genau dieses Temperament brauchen wir in Zeiten wie diesen", meint Obamas langjähriger Förderer, Wegbegleiter und Freund Mikva Abner. "Keinen, der unüberlegt handelt und voreilige Schlüsse zieht."

Womit Obama eine andere Eigenschaft mit einem Präsidenten teilt, der wie er unter ähnlichen Umständen im gleichen Lebensalter die Präsidentschaft erreichte. 1933 wählten die Amerikaner auf dem Höhepunkt der Großen Depression den Demokraten Franklin D. Roosevelt ins Weiße Haus. Dieser trat das Erbe des Republikaners Herbert Hoover an, der geschick- und glücklos wie George W. Bush regiert hatte.

Hochfliegende Erwartungen

Nicht ohne Grund studieren Berater im Team des neuen Präsidenten seit einiger Zeit die Einzelheiten der Präsidentschaft Roosevelts, der das Wählermandat nutzte, um in den ersten Wochen die Grundlagen seiner "New Deal"-Politik zu legen.

Das entschlossene und umsichtige Handeln Roosevelts dient dem 44. Präsidenten der USA als Vorbild. Bereits seit Wochen feilt ein Übergangsteam unter Führung des ehemaligen Bill-Clinton-Vertrauten John Podesta an einem detaillierten Plan für die ersten 100 Tage im Weißen Haus. Das ist typisch für "No-Drama-Obama", der - wie im Wahlkampf bewiesen - stets drei Züge vorausdenkt. In einem Interview mit Joe Klein vom Time-Magazin verriet Obama, "eine neue Energie-Wirtschaft wird mein erstes Ziel sein, wenn ich ins Weiße Haus komme". In "grünen Jobs" sieht der neue Präsident die Möglichkeit, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Nämlich, die Wirtschaft wieder anzukurbeln und das ewige Versprechen einzulösen, die USA in die Energie-Unabhängigkeit zu führen. Andere vordringliche Aufgaben werden die Re-Regulierung der Finanzmärkte, eine Reform der Steuerpolitik und die Gesundheitsreform sein.

Außenpolitisch dürfte Barack Obama rasch ein Zeichen setzen, indem er Guantanamo schließt, Folter ein für alle Mal unterbindet und Al Gore zu seinem Klima-Beauftragten macht. Seine Herkunft als Sohn eines Kenianers und einer Mutter aus Kansas, der als Kind eine Zeit lang in Indonesien lebte, bevor er zu seinen Großeltern zog und im multikulturellen Hawaii zur Schule ging, stattet Obama mit einer Sensibilität aus, die der Cowboy-Präsident aus Texas vermissen ließ.

Die Europäer werden im künftigen US-Präsidenten einen echten Partner finden, der zuhört, neugierig ist und andere Sichtweisen in seine Überlegungen einbezieht. Aber er wird auch ihre Solidarität einfordern. Weniger im Irak, wo Obama zügig mit dem Abzug der US-Truppen beginnen wird, dafür umso mehr in Afghanistan. Den Flitterwochen könnte schon bald ein Realitätsschock folgen, wenn sich herauskristallisiert, dass der Weltbürger im Weißen Haus zuerst Präsident der USA ist. Aber auch im Inneren werden hochfliegende Erwartungen angesichts leerer Kassen womöglich enttäuscht werden. Eine Haushaltslücke von bis zu einer Billion Dollar im kommenden Jahr zwingt den neuen Präsidenten dazu, Prioritäten zu setzen.

Das Potenzial der Obama-Präsidentschaft ist gewaltig. Wie Franklin D. Roosevelt hat er in der Krise die Chance, die politischen Koordinaten in den USA langfristig zu verschieben. Zusammen mit den "Obamacons" - den übergelaufenen Republikanern der Mitte - sowie den Unabhängigen und Zentristen der eigenen Partei kann er ein breites Reform-Bündnis bilden, das von der jungen Generation getragen und vorangetrieben wird.

Versteht Barack Obama die Chance weiter zu nutzen, wird er nach Ansicht vieler Beobachter am 20. Januar 2009 eine neue Ära in der amerikanischen Politik einläuten.

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