Die „Miss Goldene Europa“ aus Bübingen

Saarbrücken/Bübingen · Vom 22. bis 25. Mai wählen die Bürger der EU ein neues Parlament. In einer Serie beleuchten wir in loser Folge Themen und Personen rund um die Europäische Union. Heute: Doris Pack. In den vergangenen 25 Jahren hat sie die Europäische Union mit großgezogen, wie sie sagt. Dabei machte sie ihren Namen zum Programm, hat angepackt und ist zu einem der populärsten CDU-Gesichter im Land geworden. Nun muss sie ihr „Kind“ loslassen. Wie schafft sie das?

 Doris Pack in ihrem Wohnzimmer in Bübingen. Die Statue des früheren SR-Preises – die „Goldene Europa“ – hat sie von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer bekommen. Foto: Oliver Dietze

Doris Pack in ihrem Wohnzimmer in Bübingen. Die Statue des früheren SR-Preises – die „Goldene Europa“ – hat sie von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer bekommen. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Die meisten Politiker haben einen Koffer in Berlin. Doris Pack (70) hat zwei Köfferchen - und zwar in Frankfurt: einen "warmen" und einen "kalten". Sie warten im Kofferraum ihres Autos. Wenn Pack beispielsweise aus Riga kommt und nach Sarajewo weiterreist, tauscht sie in der Tiefgarage die Koffer. "Organisieren kann ich", sagt Pack beim Treffen in ihrem Haus am Bübinger Berg. Es ist Sonntagnachmittag, ein selbstgebackener Aprikosenkuchen steht auf dem Tisch. Fürs Selberbacken bleibt Zeit, obwohl Pack ein Wochenende mit drei Gästen aus Berlin hinter sich hat, samt Geburtstagsparty, Elsbeere-Fest in Rubenheim und Flughafen-Transfer. Bei ihr muss immer alles schnell gehen und praktisch sein. Deshalb reist sie auch immer nur mit Handgepäck, wegen des Tempos bei der Ankunft. "Wer lernen will, wie man effizient Koffer packt, kommt zu mir. Das habe ich in 25 Jahren EU-Arbeit perfektioniert." Insofern gibt es auch nur wenige Abstriche in punkto Eitelkeit - denn die ist nicht unterentwickelt. Pack trägt gerne modische Sachen, an diesem Mittag leuchten nicht nur die perfekt manikürten Nägel in knallrot. Die Signalfarbe passt zu ihr, dem Energie- und Temperaments-Bündel. Während sie erzählt, knetet sie nicht nur einmal die Luft mit den Händen.

Pack ist wohl auch gerne Frau: So zieht sie sich an, so bewegt sie sich. Gigantische Schränke dienen als Tresore für jahrzehntelange Mode- und Sammel-Leidenschaft. Freilich trägt Pack ihre Weiblichkeit wie einen perfekt sitzenden Anzug. Gelernt ist gelernt, in über 45 Jahren Politik zwischen Bübinger Gemeinderat, Bonner Bundestag und Brüsseler Parlament. Als Pack vor vierzig Jahren in den Bundestag einzog, schrieb sie als erste saarländische Abgeordnete auf der Bundesbühne Geschichte. Doch als sie, die zweifache Mutter, wieder kandidieren wollte, war ihre Scheidung am Laufen, und die CDU-Mannschaft rümpfte die Nase. Also zurück in den Schulbetrieb. Pack krempelte die Arme hoch und machte die Schulratsprüfung. So war das damals. So blieb es aber nicht.

Heute sitzen 230 weibliche Abgeordnete in Berlin, und auch in Brüssel liegt die Frauenquote bei 35 Prozent. Deshalb hat Pack nicht wirklich Lust, über (Neo-)Feminismus zu sprechen. Alles geht voran, warum theoretisieren? Pack bezeichnet sich selbst als eine "Schafferin". Eben deshalb arbeite sie auf Europa-Ebene: "Als Bundestagsabgeordnete in Berlin kann man keine eigenen Ideen voranbringen. Aber in der EU existieren Dinge, die es ohne mich nicht gäbe." Auf Packs persönlicher Leistungs-Liste stehen unter anderem: Erasmus-Programm für Studierwillige, europäischer Freiwilligendienst, Leonardo-Programm für Praktika, der Lux-Filmpreis.

An einer wie ihr perlt denn auch Kritik am überbezahlten Brüsseler Beamten-Stadl oder an arbeitsscheuen EU-Parlamentariern ab. Sie komme selten vor 22 Uhr aus dem Büro, erwidert sie knapp. Die EU arbeite mit weniger Verwaltung als die Stadt Köln. Außerdem absolvierten die Brüsseler viel mehr Sitzungswochen als ihre Kollegen in den Nationalparlamenten. Schwarze Schafe kennt Pack aber dann doch: die Le Pens beispielsweise, die habe man noch nie in den Ausschüssen gesehen. Aber zu Hause in Paris erzählten Vater und Tochter, was alles falsch laufe in der EU: "Das ist einfach nur traurig." Pack prophezeit Ähnliches für die zukünftigen Brüsseler AfD-Abgeordneten.

Visionen und Luftschlösser sind nicht ihr Ding. Vor einer "endlosen" EU-Erweiterung warnt sie, hält "gute Nachbarschaftspolitik" für die zentrale Zukunftsaufgabe. Sie selbst habe immer schon gewusst, "wo man anpacken muss". Am Bübinger Berg machte sie als Gemeinderätin einst Ackerland zu Bauland. Weil sie dort wohnen wollte, brachte sie weitere Interessenten bei, schuf so Akzeptanz für ein Wohngebiet. Heute noch lebt sie in dem 1974 bezogenen großzügigen Haus, mit Unmengen von Büchern und Bildern, die wenigsten von namhaften Künstlern. Sie kauft nur bei Freunden. Einst muss ihr Wohnstil mondän gewirkt haben, heute besitzt ihr Haus vielmehr Charisma, weil ihm kein Designer-Look aufgedrückt wurde. Pack gesteht, sie nutze und genieße ihr Heim wie ein Hotel. Frau Neuberger sei Dank. Seit 35 Jahren hält diese Alltagsmanagerin in Bübingen mehr am Laufen als die Geschirrspülmaschine: "Wenn ich mir was Neues kaufe, dann sagt Frau Neuberger: Dazu haben wir noch ein paar passende Schuhe", erzählt Pack.

Mit dieser Entlastung kann man denn auch als Volldampfpolitikerin durch die Welt sausen. "Der Job hat mir sicher auch den Partner ersetzt", meint Pack. Ob es 1961, als sie in die Junge Union eintrat, eine Liebesheirat mit der CDU war? Kaum. Eher Familientradition. Packs Vater und ihr Großvater engagierten sich bereits in Gemeinderäten. Und für sie galt: "Ich will was erreichen und was durchsetzen, das ist mein Naturell." Als Anpackerin geht sie auch den eigenen Abschied aus der Politik an, ohne Rücksicht auf ihre ungebrochene Vitalität: "Ich hab's mir vor fünf Jahren vorgenommen, also zieh ich das durch." Egal, wie's andere, 85-jährige EU-Abgeordnete halten, egal auch, ob demnächst womöglich eine "Lex Bouillon" im Saarland den Bürgermeistern jede Altersgrenze aus dem Amtsweg räumen wird, was sie gut findet. Doch generell hält sie es für "schlimm, wenn jemand nicht loslassen kann". Das muss als Begründung für ihr Ausscheiden genügen.

Was kommt danach? Zum beschaulichen Enkelbetreuen von Felix (16) und Frieda (14) fehlt der Agilen das Talent. Pack möchte kein Parteiamt mehr, sie wird Seminare für die Konrad-Adenauer- oder die Robert-Schumann-Stiftung halten und Vorträge an drei Universitäten in Ex-Jugoslawien, die ihr, der Vorsitzenden der Südosteuropa-Delegation, die Doktorwürde verliehen haben.

"Bis zum September gibt es kein freies Wochenende mehr", sagt Pack. Es klingt stolz und zugleich ein wenig bang. Denn sie weiß nur zu gut, wie viel Zusatz-Verpflichtungen selbst in ein verplantes Wochenende noch hineinpassen. Also sagt sie: "Ich brenne weiter für Europa. Ich will kein Geld und kein Amt. Ich mache alles, was mit der Großregion zu tun hat. Ruft mich einfach an!"

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Zur PersonDoris Pack wurde 1942 in Schiffweiler geboren. Sie studierte in Saarbrücken Grundschul-Pädagogik und arbeitete von 1965 bis 1974 in Ottweiler und Bübingen als Lehrerin. Seit 1964 ist sie Mitglied der CDU, saß zunächst im Gemeinderat Bübingen (1964-1967), dann bis 1976 im Saarbrücker Stadtrat. Von 1974 bis 1983 sowie von 1985 bis 1989 war Pack Mitglied des Deutschen Bundestages. 1989 zog sie zum ersten Mal ins Europaparlament ein und wurde vier Mal wiedergewählt.Schwerpunktthemen waren Jugend, Bildung, Sport und Südosteuropa. Außerdem engagiert Pack sich ehrenamtlich als Präsidentin der Stiftung für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit sowie als Schirmherrin für die Europäische Kinder- und Jugendbuchmesse in Saarbrücken.Die 70-Jährige ist geschieden, ihre Tochter starb vor 22 Jahren, ihr Sohn führt die Tierklinik in Spiesen-Elversberg. Sie hat zwei Enkel. ce

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