Wenn Kinder zu „Gotteskriegern“ werden

Paris · Zwischen 1500 und 2000 junge Menschen aus der EU kämpfen in Syrien an der Seite islamistischer Terror-Gruppen. Viele von ihnen werden regelrecht rekrutiert. Eltern fordern Hilfe vom Staat, um ihre Kinder davor zu schützen.

Die Geschichten ähneln sich auf fatale Weise - in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Belgien: 15- oder 16-jährige Schüler wandeln sich binnen kürzester Zeit, folgen plötzlich radikal-muslimischen Vorschriften und gehen auf Distanz zu Freunden und Familie. Dann kommt der Schritt, der alle schockiert: Von einem Tag auf den nächsten sind die Kinder weg, ausgereist, nach Syrien, in den Krieg, bereit zu sterben. In Frankreich hat die Regierung jetzt einen Aktionsplan vorgelegt, um die jungen Kämpfer zu stoppen.

Die Zahl der jungen Leute aus EU-Ländern, die in Syrien an der Seite islamistischer Terror-Gruppen kämpfen, wird auf 1500 bis 2000 geschätzt. Allein aus Deutschland sind inzwischen mehr als 320 Islamisten nach Syrien ausgereist, laut Verfassungsschutz sind 40 Prozent davon unter 25 Jahren. Auch Minderjährige sind darunter, sogar Mädchen. So wie Sarah aus dem baden-württembergischen Konstanz, die als 15-Jährige im vergangenen Herbst plötzlich über die Türkei nach Syrien reiste, mit einer "gefälschten Vorlage ihres Vaters", wie Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) dem SWR sagte.

In Frankreich können Minderjährige derzeit ohne Erlaubnis ausreisen. Durch den Aktionsplan der sozialistischen Regierung sollen Eltern dem nun widersprechen können. Angehörige waren zuvor auf die Barrikaden gegangen: "Wir fordern von den Behörden, dass sie sich um das Problem kümmern und unsere Kinder in Syrien suchen gehen", forderte das Präventionszentrum CPDSI zusammen mit Elterninitiativen kürzlich. Doch wie der Fall Sarah aus Konstanz zeigt: Auch ohne Ausreise-Erlaubnis finden die Jugendlichen - meist über die Türkei, wo es keine Visumspflicht gibt - den Weg nach Syrien.

In Frankreich wollen die Behörden jetzt verstärkt präventiv tätig werden. Viele junge Leute werden über das Internet radikalisiert. Damit verbunden sind teils professionelle Schleppernetze, die Schülern sogar das Geld für die Reise nach Syrien geben. So soll eine 16-Jährige aus dem ostfranzösischen Troyes von einem Mann, den sie im Netz kennenlernte, 500 Euro erhalten haben.

Künftig soll es - ähnlich wie bereits in Deutschland beim Bundesamt für Migration - auch eine Telefon-Hotline und eine Meldestelle im Internet geben, damit Eltern oder Lehrer auffällige Veränderungen der jungen Leute melden können. Dann sollen "sofort" die Behörden vor Ort mit den Familien in Kontakt treten. Bisher hätten Polizei oder Sozialdienste häufig wenig Verständnis gezeigt, wenn Eltern den Verdacht einer Rekrutierung anzeigen wollten, sagt Dounia Bousar, die Gründerin des Zentrums CPDSI.

Sollten die Kinder zurückkommen, stehen Eltern und Staat vor dem nächsten Problem. In der Regel droht den jungen Leuten dann ein Verfahren als "Terrorverdächtige", denn die Sorge vor Anschlägen nach einer Rückkehr in ihre Heimatländer ist groß.

Der deutsche Ex-Rapper Denis Cuspert alias Deso Dogg könnte doch am Leben sein. Gestern tauchten auf Islamisten-Websites Meldungen auf, die den Tod des militanten Salafisten in Syrien dementieren. Derweil teilte die Staatsanwaltschaft Frankfurt mit, ein 23-jähriger Student aus Offenbach sei vermutlich bei Kämpfen ums Leben gekommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort