Der Geduldsfaden ist gerissen

Bombenhagel in Syrien und kein Fortschritt bei der Suche nach einem Ausweg: Das Vertrauen zwischen den USA und Russland ist zerstört wie lange nicht seit dem Kalten Krieg. "Die Geduld aller mit Russland ist am Ende", sagt konsterniert Josh Earnest, der Sprecher des Weißen Hauses. Da gibt es auch für den gewieften russischen Chefdiplomaten Sergej Lawrow in Moskau wenig mehr zu sagen als Lippenbekenntnisse, Russland wolle weiter an einer politischen Lösung in Syrien arbeiten.

Russland und die Vereinigten Staaten ringen seit dem Scheitern einer Waffenruhe im September um eine Neuauflage der Feuerpause. Durch den überraschenden Abbruch des Dialogs zwischen Moskau und Washington ist eine diplomatische Lösung des Konflikts vorerst schwieriger geworden.

Seit mehr als fünf Jahren überziehen Armee, oppositionsnahe Milizen und islamistische Terrorgruppen Syrien mit Gewalt und Leid. Auch vom Iran finanzierte Milizen kämpfen für die syrische Regierung. Die USA leiten eine Allianz aus Dutzenden Staaten im Kampf gegen Terroristen, Russland interveniert seit 2015 mit Kampfjets, um die syrische Armee zu unterstützen.

Die komplexe Gemengelage bereitet selbst einem gestandenen Diplomaten wie dem UN-Sondergesandten Staffan de Mistura Kopfzerbrechen. "Ich bin jetzt 46 Jahre bei den Vereinten Nationen, 19 Kriege einschließlich Afghanistan, Irak sowie auf dem Balkan, was kompliziert genug war. Ich habe noch nie so viele Akteure mit so vielen unterschiedlichen Zielen wie in diesem Konflikt gesehen", sagte er kürzlich dem Sender Al-Dschasira.

Auf die Kämpfe in Syrien dürfte die Entscheidung der USA keine Auswirkungen haben, zumindest kurzfristig. Die strategisch und symbolisch wichtige Großstadt Aleppo im Norden des Landes erlebt ohnehin seit dem Scheitern der Waffenruhe im September die bisher schlimmsten Angriffe der syrischen und russischen Luftwaffe. Täglich bombardieren Jets den von Rebellen kontrollierten Osten Aleppos, es wird befürchtet, dass die Regierung sich die Stadt mit Gewalt zurückholen will.

Beobachter sind überzeugt: Solange sich die USA und Russland nicht einigen, gibt es in Syrien keine Chance auf Frieden. Seit Jahren laufen zwischen Moskau und Washington die diplomatischen Drähte heiß. Stunde um Stunde haben die Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow nach einem gemeinsamen Nenner gesucht. Dennoch konstatiert der US-Experte Philip Gordon: "Dies ist die schlechteste Periode zwischen den beiden Ländern seit dem Kalten Krieg." "Niemand ist frustrierter als ich", räumt Kerry zerknirscht in einer vom US-Sender CNN verbreiteten Aufnahme ein. Er wirft Russland vor, mit Luftangriffen auf zivile Ziele das Völkerrecht zu brechen. "Wir werden das syrische Volk nicht im Stich lassen", versichert der US-Außenminister gestern in einer Rede in Brüssel.

US-Medien berichten, in Washington würden einige Hardliner eine militärische Lösung in Syrien unterstützen. Doch eine Intervention ist US-Beobachtern zufolge für den im Januar aus dem Amt scheidenden Präsidenten Barack Obama keine Option. Vielmehr wird in Washington in den kommenden Wochen eine Konzentration auf den Irak erwartet. Könnte dort mit US-Hilfe die von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehaltene Stadt Mossul erobert werden, wäre dies ein letzter kleiner Erfolg für Obamas durchwachsene außenpolitische Bilanz.

Wie verhärtet die Fronten zwischen Russland und den USA sind, zeigen Kaskaden gegenseitiger Schuldzuweisungen. Russland behaupte, dass es in Syrien gegen Extremisten kämpfe, sagt Earnest. Aber Russland habe in den vergangenen Monaten nicht viel erreicht.

Die russische Seite argumentiert ähnlich, die USA würden nicht entschlossen genug gegen Terroristen vorgehen und ihnen damit helfen. "Bei uns festigt sich der Eindruck, dass Washington in seinem Streben nach einem Machtwechsel in Syrien einen ,Pakt mit dem Teufel' eingeht", kritisiert das Außenministerium in der russischen Hauptstadt. Russland will einen Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad verhindern.

Dennoch halten nicht alle die Verhandlungen zwischen den beiden Atommächten für vollends gescheitert. "Wir sollten nicht denken, dass die Beziehungen ein für allemal beendet sind", sagt der Politologe Alexej Malaschenko. "Es bleiben die Kontakte der Militärs", sagt der Nahostexperte vom Moskauer Carnegie Zentrum. Er schätzt, dass die USA trotz allem bald wieder auf Russland zugehen werden. "Obschon das nicht einfach werden wird", vermutlich sogar schwerer als zuvor, sagt Malaschenko.

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