365 Tage und ein paar Umwälzungen später

Berlin. Was ein Jahr verändert! Seit dem Wahltag am 27. September 2009 haben in fast allen Bundestagsparteien große Umwälzungen stattgefunden. Geht die Dynamik so weiter, dann ist die politische Landschaft bei der nächsten Wahl im Jahr 2013 kaum wieder zu erkennen.Am krassesten ist die Entwicklung bei der FDP verlaufen, dem eigentlichen Sieger der letzten Wahl

Berlin. Was ein Jahr verändert! Seit dem Wahltag am 27. September 2009 haben in fast allen Bundestagsparteien große Umwälzungen stattgefunden. Geht die Dynamik so weiter, dann ist die politische Landschaft bei der nächsten Wahl im Jahr 2013 kaum wieder zu erkennen.

Am krassesten ist die Entwicklung bei der FDP verlaufen, dem eigentlichen Sieger der letzten Wahl. Damals erreichten die Liberalen einen Allzeitrekord von 14,6 Prozent; jetzt rangieren sie in den Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde. Guido Westerwelle hatte als Oppositionsführer geglänzt, aber fand seine Rolle als Regierungsmitglied nicht. Die Skandälchen um seine Begleitung bei den ersten Auslandsreisen, die Mövenpick-Spende, seine populistische Attacke gegen Hartz-IV-Bezieher, all das führte sehr schnell zu einer wahren Entzauberung des Oberliberalen.

Aber es ist nicht nur Westerwelle. Die ganze Partei tat sich schwer mit der neuen Rolle. Das fing mit dem Steuergeschenk für Hoteliers an und ging mit dem Beharren auf Steuersenkungen weiter, für die es keinen Spielraum gab. Jetzt versucht die FDP, im Eilschritt den Schwenk zu einer seriösen bürgerlichen Kraft nachzuholen. Wenn die Wähler ihr das glauben - gut. Wenn nicht, sind die Liberalen auch noch langweilig geworden.

Das schlechte Mannschaftsspiel in der schwarz-gelben Koalition zieht auch die Union in den Keller und lässt jene Debatten wieder aufleben, die es versteckt schon seit 2005 gibt. Damals "siegte" Angela Merkel mit historisch niedrigen 35,2 Prozent, die 2009 mit 33,8 Prozent sogar noch unterboten wurden. Zwar reichte es für Merkel beide Male zur Kanzlerschaft, aber die CDU droht ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren. Schon lange wissen die Oberen, dass es in der Wählerschaft gärt, etwa weil der moderne familienpolitische Kurs in den ländlichen Gebieten nicht ankommt, und der liberale ausländerfreundliche Kurs nicht in den Großstädten.

Die SPD, die große Wahlverliererin des letzten Herbstes, hat sich nicht lange mit Wundenlecken aufgehalten. Die Führungsfragen hat man mit Sigmar Gabriel als Partei- und Frank-Walter Steinmeier als Fraktionschef relativ schnell entschieden. Ebenfalls relativ geräuschlos wurden inhaltliche Kurskorrekturen vorgenommen. Es war zwar keine 180-Grad-Wende, aber doch ein Linksruck bei den Themen Rente mit 67 und Steuerreform. Vom Tiefststand 23 Prozent am 27. September ist man so auf etwa 29 Prozent in den aktuellen Umfragen geklettert. Zum Teil profitiert die SPD zudem davon, dass die Linke seit dem Abgang von Oskar Lafontaine wieder unattraktiver geworden ist. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen nehmen dort zu, und das neue Führungsduo aus Gesine Lötzsch und Klaus Ernst hat mehr mit der eigenen Positionssicherung zu tun als mit der weiteren Stabilisierung der Linken als bundesweite Kraft. Es ist fraglich, ob die Linke bei den kommenden Landtagswahlen ihre Erfolge wiederholen kann.

Großer Nutznießer der Entwicklung sind die Grünen, die im Moment Enttäuschte aus vielen Lagern aufnehmen. In der Führung herrscht relative Harmonie, und inhaltlich macht man keine großen Volten. Die durch den Beschluss zur Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wieder belebte Anti-Atom-Bewegung sorgt nun auch noch dafür, dass das außerparlamentarische Spielbein wieder stärker wird. Ergebnis: Bundesweit liegt man derzeit gleichauf mit der einst so großen SPD. Das wird nur noch dadurch getoppt, dass in einigen Regionen die Grünen inzwischen sogar stärkste Partei sind. So könnte es in Berlin im Frühjahr bei der Abgeordnetenhauswahl die erste Koalition unter grüner Führung geben, mit Renate Künast als Regierender Bürgermeisterin. Die einstige Frage, wer bei Rot-Grün Koch und wer Kellner ist, hätte sich dann überraschend entschieden: Es gibt eine Köchin.

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