Ein Abenteuer im Dienste Gottes

Saarbrücken. Hans Günther Ullrich führte ein Leben wie aus dem Bilderbuch der schönen neuen Welt der Globalisierung. Heute Neunkirchen, morgen Japan, übermorgen USA. Der promovierte Jurist fuhr eine stattliche Limousine als Dienstwagen und residierte über den Dächern Stuttgarts. Einmal verbrachte er 26 aufeinanderfolgende Nächte an 26 verschiedenen Orten der Erde

Saarbrücken. Hans Günther Ullrich führte ein Leben wie aus dem Bilderbuch der schönen neuen Welt der Globalisierung. Heute Neunkirchen, morgen Japan, übermorgen USA. Der promovierte Jurist fuhr eine stattliche Limousine als Dienstwagen und residierte über den Dächern Stuttgarts. Einmal verbrachte er 26 aufeinanderfolgende Nächte an 26 verschiedenen Orten der Erde. Als Chef von 4500 Mitarbeitern, darunter Hunderte in Neunkirchen, steuerte der gebürtige Trierer den Autozulieferer Eberspächer durch einen knallharten Wettbewerb, in dem es vor allem auf eines angekommen sei: "Kohle herausholen".

Bei einem Gespräch irgendwann im Sommer 2005 forderte der Vorstand eines großen Abnehmers Ullrich ziemlich unverblümt auf, die Produktion doch nach Tschechien zu verlagern, um die Produkte billiger zu machen. Die unverhohlene Drohung, die in den Sätzen des Kunden mitschwang, wurde für Ullrich zum Schlüsselerlebnis, das sein ganzes Leben veränderte. Mit 45 Jahren wollte er nicht mehr Teil der "kommerziellen Maschinerie" sein, obwohl er gerade wieder Angebote großer Konzerne für lukrative Vorstandsposten bekommen hatte. "Die rein ökonomischen Vorgaben, die heute gelten, machen bei weitem nicht das ganze Leben aus", sagte sich der Manager damals.

Ullrich fühlte sich eingeengt in einem System, das ihm zur Verwirklichung immaterieller Werte immer weniger Raum ließ. Er ging ins Kloster, sprach mit dem damaligen Trierer Bischof Reinhard Marx - und entschied sich, Priester zu werden. Er verzichtete auf die Dienstlimousine und sein fürstliches Gehalt. Statt in Stuttgart quartierte er sich 2006 in einem Zehn-Quadratmeter-Einzelzimmer im Trierer Priesterseminar ein, die Dusche am Ende des Ganges. Auto, Wohnung, Geld - "das ist alles nicht so wichtig", sagt Ullrich. Weil er schon früher nebenher Theologie studiert hatte, konnte er bereits 2008 zum Priester geweiht werden, seit Anfang dieses Jahres ist er Pfarrverwalter (eine Art Interims-Pfarrer) in der Saarbrücker Basilika St. Johann. "Das ist ein Abenteuer", sagt Ullrich. Trotz Ansehensverlust der Kirche bereue er gar nichts.

Auch als Seelsorger hat der 49-Jährige gerne sein Smartphone bei sich, trägt eine randlose Brille, mit der er auch als Unternehmensberater durchgehen würde, und liest jeden Morgen den Wirtschaftsteil der "Frankfurter Allgemeinen" von vorne bis hinten. Er tut das heute als "geistlich lebender Mensch": "Für mich ist es ein wunderbarer Beruf, weil es um die Dinge geht, die wirklich wichtig sind." Dies sei ein "Leben in Fülle", die Entfaltung des ganzen Menschen und nicht nur seiner "ökonomisch verwertbaren Eigenschaften", sagt Ullrich.

Verglichen mit dem Seiteneinsteiger ist Michael Keller (Foto: privat) so ziemlich das Gegenteil. Für den jungen Mann aus Freisen-Oberkirchen war schon als Schüler am St. Wendeler Cusanus-Gymnasium klar, dass er eines Tages ins Priesterseminar gehen würde. "Ich habe das immer ganz unspektakulär verfolgt, aber nie vor mir herposaunt", sagt Keller. Sicher, er hätte - wie seine Mutter und einer seiner beiden Brüder - das Metzger-Handwerk lernen können; auch Lehrer, "vielleicht Geschichte", wäre etwas für ihn gewesen. Aber Keller las lieber Ratzinger ("Der Geist der Liturgie") und wurde zum "Fan von gut gemachter Theologie".

Sein nächstes Etappenziel ist der 10.10.2010, der Tag, an dem sich viele Paare trauen. Keller traut sich, sein Leben in den Dienst der Kirche zu stellen, vielleicht wird es auch für ihn der schönste Tag seines Lebens. In der barocken Jesuiten-Kirche Sant Ignazio in Rom wird der 26-Jährige zum Priester geweiht. Aus seiner Heimatpfarrei St. Katharina in Oberkirchen wollen Gläubige mehrere Reisebusse nach Rom chartern.

Warum Priester werden? Und warum ausgerechnet in einer Zeit, in der immer mehr Gläubige der Kirche den Rücken kehren? Auch Keller hat sich diese Frage schon häufiger gestellt, gerade in den letzten Monaten. Als der Missbrauchsskandal über der Kirche hereinbrach und er als Diakon der Pfarrei St. Dionysius in Trierweiler predigte, fragte er sich manchmal, was die Gläubigen wohl denken, während er zu ihnen spricht. "Das war eine Belastung." Beckers Antwort auf die Warum-Frage: "Es gibt nicht nur ein kulturelles Erbe, sondern auch ein Erbe des Glaubens. Wir müssen schauen, dass uns das nicht abhanden kommt. Die Botschaft des Glaubens zu verlieren, wäre fatal." Die Widrigkeiten der Gegenwart - für ihn eher Ansporn als Abschreckung.

Keller hat sich im Priesterseminar geprüft, ob er ehelos leben kann, ob er es aushält, wenn abends in der Wohnung niemand da ist und nur der Kühlschrank brummt. "Sexualität ist keine Sache, die man an der Pforte einfach abgibt", sagt Keller. Er hat Seminare darüber besucht, und er hat Zimmernachbarn im Priesterseminar ihre Sachen packen sehen, weil sie im Laufe der Zeit Zukunftspläne geschmiedet hatten, die mit dem Zölibat nicht zu vereinbaren sind. "Wenn man einen Grund hat aufzuhören, muss man es auf jeden Fall auch tun. Da darf man sich nicht in die Tasche lügen", sagt Keller.

Warum Priester werden? Dieser Frage geht Michael Becker (Foto: privat) von Berufs wegen nach, er stellt sie seinen Gegenübern gerne ins Gesicht. Es soll an dem Vierer-Tisch in seinem kleinen Büro nicht zugehen wie bei einem Verhör, aber ausweichen lässt der Leiter (Regens) des Priesterseminars Trier beim Bewerbungsgespräch auch niemanden. "Fragen Sie sich wirklich, ob der liebe Gott will, dass Sie diesen Weg gehen?", will der 45-Jährige hartnäckig wissen. Es soll später niemand sagen, er hätte sich über das Warum keine Gedanken gemacht. "Auch wenn es sich platt anhört", sagt Becker, die meisten wollten Priester immer noch aus Liebe zu Gott und den Menschen werden. Aber es gebe auch andere Fälle. "Es gibt den Aussteiger-Typen, der den besonderen Kick sucht. Da müssen wir aufpassen", sagt Becker.

Wer wirklich im Priesterseminar aufgenommen werden will, muss erklären können, dass er auch mit den Einschränkungen - Stichwort Zölibat - zurechtkommt. Das klingt dann in etwa so: "Sind Sie sich über Ihre sexuelle Orientierung im Klaren?" Eine Antwort wie "Das mache ich mit mir selbst aus" ist Becker zu wenig. "Das lasse ich nicht durchgehen."

Für die, die es ernst meinen mit ihrer Berufung, wird das Klima in der Gesellschaft immer schwieriger, beobachtet Becker. Zunehmend gebe es junge Menschen, die sich sogar im eigenen Elternhaus für ihre Entscheidung rechtfertigen müssten. Unter den derzeit rund 30 Seminaristen berichteten einige, dass sie auch in ihren Freundeskreisen unter Druck kämen. "Da spielt auch die Diskussion um sexuellen Missbrauch eine Rolle. Das lässt sich nicht leugnen", sagt Becker. Der beste Beweis dafür: In diesem Herbst werden gerade einmal drei Kandidaten neu ins Priesterseminar aufgenommen - nach elf im vergangenen Jahr. In Beckers Aufnahme-Jahrgang 1982 waren es noch 30.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort