Keine Kohle für die Kohle?

Brüssel. Der Druck auf die Bundesregierung wächst. Spätestens am 10. Dezember, wenn Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) mit seinen Kollegen aus den übrigen 26 EU-Staaten in Brüssel zusammenkommt, fällt das Urteil über die deutsche Steinkohle

Brüssel. Der Druck auf die Bundesregierung wächst. Spätestens am 10. Dezember, wenn Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) mit seinen Kollegen aus den übrigen 26 EU-Staaten in Brüssel zusammenkommt, fällt das Urteil über die deutsche Steinkohle. An den schlimmsten Fall - dass es zu keiner Einigung kommt - will man in Berlin lieber nicht denken: Dann wäre nach EU-Recht schon im Januar 2011 Schluss mit den Beihilfen. Falls sich die Minister auf den aktuellen Vorschlag der EU-Kommission einigen, müsste mit dem Abbau der Beihilfen 2011 begonnen werden. Alle 15 Monate würden die Zuschüsse um 33 Prozent gekürzt, bis sie am 15. Oktober 2014 auslaufen. Es wäre, da sind sich alle einig, das Ende für eine große Zahl jener Bergwerke, die nicht rentabel arbeiten.

Dieser Fahrplan stammt von der Brüsseler Kommission. Aber die ist sich auch nicht ganz sicher, ob sie dieses schnelle Aus wirklich wollen soll. Bernhard Rapkay (Foto: dpa), Chef der deutschen SPD-Abgeordneten im EU-Parlament, sagte am Freitag: "Es gibt viel Unterstützung für eine Verlängerung der Laufzeit bis 2018. Auch Energiekommissar Günther Oettinger steht da auf unserer Seite. Aber der ist ja nicht zuständig."

Joaquin Almunia heißt der verantwortliche Kommissar. Er kommt aus Spanien und wacht über den freien Wettbewerb auf dem Binnenmarkt. Der Widerstand gegen die deutschen (spanischen, rumänischen und sonstigen) Subventionen für die Kohle hat nämlich nichts mit Energie- oder Umweltpolitik zu tun. Es geht allein um den freien Wettbewerb, wie die Kommission im Juli noch einmal betonte: "Unternehmen müssen ohne staatliche Hilfe überleben können. Das ist nicht nur eine Frage der Fairness gegenüber den Wettbewerbern, die keine staatliche Unterstützung bekommen, sondern auch im Interesse des Steuerzahlers und der stark strapazierten Staatskassen." Mit anderen Worten: Öffentliche Gelder haben nach EU-Recht in Privatunternehmen nichts verloren. Es sei denn, sie sinken langsam, sind nur für eine Übergangszeit geplant und darauf angelegt, dass der Betrieb danach auf eigenen Füßen stehen kann.

Almunia ist somit zwar zuständig, aber er hat nur wenig Spielraum. Trotzdem signalisiert er Bereitschaft, den Deutschen bis 2018 Aufschub zu gewähren. Schließlich will er auch den Kumpeln in seiner Heimat helfen. Die Kommission, so berichteten Insider diese Woche, wäre wohl durchaus bereit, den Bergbau noch einige Jahre länger zu erhalten. Voraussetzung aber ist eine deutliche Mehrheit im Kreis der Minister bei ihrem Treffen am 10. Dezember.

Deutschland wird dort von Wirtschaftsminister Brüderle vertreten, der keinen Hehl daraus macht, dass er ein schnelles Ende des subventionierten Kohle-Abbaus befürwortet. Andererseits aber darf er im Ministerrat keine Parteipolitik machen. Und die Position der Bundeskanzlerin und des größten Teils der Bundesregierung ist deutlich: "Auf allen Ebenen" wolle sie "in Brüssel Einfluss nehmen", betonte ihr Sprecher Steffen Seibert. Schließlich habe sich die Koalition in ihrem Regierungsvertrag auf einen Kompromiss bis 2018 geeinigt. Das stimmt zwar. Aber man versäumte, Brüssel vorher um Zustimmung zu bitten. Denn das Datum 2014 für ein Ende der Beihilfen steht seit 2002 fest. SPD-Mann Rapkay: "In den zuständigen Berliner Ministerien hat man schlicht geschlafen."

In Deutschland warnte die Führung der RAG-Stiftung in einem Brandbrief an Brüderle vor den Folgen eines vorgezogenen Beihilfe-Stopps: Sie spricht bis zu 2,4 Milliarden Euro zusätzlich aus der Staatskasse, die zur Abfederung der Stilllegung von Bergwerken nötig seien. Derweil läuft in Brüssel die Suche nach Mehrheiten. Spanien und Rumänien stehen klar auf der Seite der Bundesrepublik. Die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Tschechien und Polen gelten als mögliche Verbündete. Die erstaunlichste Wende aber vollzogen die Briten. Sie galten bislang als entschiedene Verfechter der reinen Marktpolitik und bestanden auf einem Auslaufen der Staatsbeihilfen. Nun heißt es plötzlich, man müsse "bei einer solchen Entscheidung immer auch die sozialen und regionalen Auswirkungen einbeziehen". Das macht Hoffnung. Vor allem für die Bergleute, die europaweit am kommenden Mittwoch auf die Straße gehen, um für den Erhalt ihrer Jobs bis 2018 zu demonstrieren. "Es gibt viel Unterstützung für eine Verlängerung der Laufzeit

bis 2018."

Bernhard Rapkay, Chef der deutschen SPD-Abgeordneten im Europa-Parlament

Hintergrund

Im Saarland läuft die Steinkohle-Förderung zwar bereits Mitte 2012 aus und nicht erst 2018. Dennoch hätte ein verfrühtes Ende des Bergbaus gravierende Auswirkungen auf die Saar-Bergleute. Denn 1700 von ihnen sollen noch einige Jahre in den Gruben an der Ruhr oder im Bergwerk Ibbenbüren (bei Osnabrück) arbeiten. Danach könnten sie über das so genannte Anpassungsgeld mit 50 Jahren in den Ruhestand gehen. Läuft die Förderung allerdings schon 2014 aus, würden sie an der Ruhr und in Ibbenbüren nicht mehr gebraucht. Ihnen müsste betriebsbedingt gekündigt werden. low

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