Unschönes Jubiläum Zwei Jahre Corona-Pandemie – was wir in Deutschland verloren haben

Berlin · Vor genau zwei Jahren wurde der erste Corona-Fall in Deutschland offiziell bestätigt. Seitdem wurden fast neun Millionen Fälle registriert. Das Virus hat uns viel genommen. Vielen das Vertrauen in die Politik, den Handschlag und manchen auch die wirtschaftliche Existenz. Ein Überblick über das, was in den letzten zwei Jahren verloren ging.

Vieles ist anders als zuvor: Der neue Alltag mit dem Coronavirus hat die Menschen in den vergangenen beiden Jahren verändert – in fast allen Bereichen des Lebens.

Vieles ist anders als zuvor: Der neue Alltag mit dem Coronavirus hat die Menschen in den vergangenen beiden Jahren verändert – in fast allen Bereichen des Lebens.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Seit zwei Jahren lebt Deutschland mit dem Coronavirus. Nach der ersten Bestätigung eines Falles am 27. Januar 2020 bei einem Mann aus Bayern hat das Robert-Koch-Institut (RKI) fast neun Millionen Corona-Fälle registriert. Sars-CoV-2 hat das Land verändert. Dauergenervte Menschen wünschen sich ein „normales Leben“ zurück. Vielen Menschen hat das Virus jedoch das Leben genommen. Was wir durch das Virus verloren haben:

Verlust an Menschenleben

Rund 117 000 Menschen starben in Deutschland bislang an oder unter Beteiligung einer Infektion, ein Vielfaches an Menschen verlor Angehörige, Freunde oder gute Bekannte. Das Statistische Bundesamt spricht von einer Übersterblichkeit durch Corona. „Von März 2020 bis Mitte November 2021 sind in Deutschland mehr Menschen verstorben, als unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung zu erwarten gewesen wäre“, sagte Destatis-Vizepräsident Christoph Unger Ende 2021. Der Anstieg sei nicht allein durch die Alterung der Bevölkerung erklärbar, sondern maßgeblich durch die Pandemie beeinflusst.

Kliniken und Heime verlieren Pflegekräfte

Die Pandemie hat die Personalengpässe in der Pflege verschärft. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft berichtete im jüngsten Krankenhaus-Barometer von 22 300 unbesetzten Stellen, dreimal so viel wie 2016. Viele Pflegekräfte arbeiten am Limit und fühlen sich ausgebrannt. Es gibt vielerorts Kündigungen, hier spielt auch die geplante berufsbezogene Impfpflicht eine Rolle.

Bildungsrückstände bei Schülern

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) spricht von „großen Bildungslücken“ durch die ersten Corona-Wellen, die mit Schulschließungen und Wechselunterricht einhergingen. Vorgängerin Anja Karliczek räumte schon im vergangenen Frühjahr ein, dass 20 bis 25 Prozent der Schüler „vermutlich große Lernrückstände“ aufwiesen. Das Mitte 2021 gestartete „Aufholprogramm“ bewerten Bildungs- und Lehrerverbänden ein halbes Jahr später kritisch.

Die Jugend – eine verlorene Generation?

Sport- und Musikveranstaltungen fielen weg, Treffen mit Freunden wurden eingeschränkt, Klassen- und Abifahrten abgesagt, ein Studentenleben findet kaum statt. Die Betroffenen fühlen sich maximal eingeschränkt, sagt der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Ralph Schliewenz. Es gebe das Gefühl, dass Türen sich schlössen, statt sich zu öffnen. Dennoch rät der Präsidiumsbeauftragte für Kindeswohl und Kinderrechte des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) zu Gelassenheit: Die Jugend sei ohnehin geprägt von Veränderungen. Zwar gebe es mehr Jugendliche mit Anpassungsproblemen, der Großteil passe sich aber sehr gut an – weshalb Schliewenz auch ausdrücklich nicht von einer „verlorenen Generation“ sprechen will.

Drastischer sieht das Christine Freitag, Kinder- und Jugendpsychiaterin am Universitätsklinikum Frankfurt am Main. „Das Bildungsniveau ist schon vor der Pandemie deutlich zurückgegangen“, sagt Freitag, „das wird noch schlimmer werden.“ Dies habe langfristig negative Folgen für die Gesellschaft. Kinder und Jugendliche müssten sich ausprobieren, entwicklungspsychologisch seien sie auf das Lernen von anderen angewiesen und brauchten mehr Sozialkontakte als Erwachsene.

Brüchiger Familienfrieden? Verlorene Freundschaften

Homeoffice und Kinderbetreuung, häusliche Enge, womöglich Impfdiskussionen: Pandemiebedingte Pro­bleme seien hier vorprogrammiert, da könne auch der Familienzusammenhalt bröckeln, sagt der Kinder- und Jugendpsychotherapeut Schliewenz. Wichtig sei, ein soziales Netzwerk wie Freundschaften aufzubauen, um gegebenenfalls anderweitig Halt zu bekommen. 

Viele Paare sind in der Pandemie aber auch zusammengerückt. In einer Umfrage des YouGov-Cambridge Globalism Projects gaben 15 Prozent an, sie seien in der Pandemie Partnerin oder Partner näher gekommen, sieben Prozent sprechen hingegen von einer wachsenden Distanz. Anders fällt das Urteil bei Freundschaften aus. 30 Prozent meinten, die Beziehung zu Freunden sei weniger eng geworden, nur acht Prozent sehen das gegenteilig und gut die Hälfte keinen Unterschied.

Ist der gesellschaftliche Zusammenhalt abhanden gekommen?

Nein, meint die Soziologin Claudia Diehl, Co-Sprecherin des Exzellenzclusters „Die politische Dimension von Ungleichheit“ an der Universität Konstanz. „Das Thema Corona ist im Alltag sehr präsent, deshalb ist es so schwer, es zu umgehen. Wir kennen alle den Impfstatus unseres Gegenübers.“ Das Thema berühre zudem etwas Entscheidendes für die sozialen Beziehungen: „Impfbefürworter argumentieren mit Solidarität und dem Schutz für Alte und Kranke, in ihrer Wahrnehmung sind andere unsolidarisch, und das geht an die Grundsubstanz sozialer Beziehungen.“ Das gelte gerade zwischen sich nahe stehenden Menschen.

Riesige wirtschaftliche Schäden und Löcher im Staatshaushalt

Für die deutsche Wirtschaft ging in der Krise vor allem viel Geld verloren. Das Institut der deutschen Wirtschaft bezifferte in einer aktuellen Analyse den Wertschöpfungsausfall mit rund 350 Milliarden Euro. Ein Großteil davon gehe auf Ausfälle beim privaten Konsum zurück, unter anderem wegen Lockdown-Maßnahmen. Viele Privatvermögen blieben aber von der Krise verschont oder sind gewachsen, etwa durch den Verzicht auf teure Reisen. Die auch pandemiebedingt kräftig gestiegene Inflation dürfte sich hier in den kommenden Monaten jedoch eher negativ auswirken.

Den Staatshaushalt kam die Krise teuer zu stehen. Von Beginn der Pandemie bis Ende 2021 summieren sich die verschiedenen Hilfsleistungen der Bundesregierung für die Wirtschaft laut Wirtschaftsministerium auf rund 130 Milliarden Euro. Bis zum Ende der Pandemie dürften es noch einige Milliarden mehr werden.

Sport auf der Verliererstraße

Wegen korrupter Funktionäre und ausufernder Millionenverträge hatten sich ohnehin Frust und Widerstand aufgebaut, bevor Corona auch noch den Gang ins Stadion verhinderte. Nun waren die Profi-Fußballer noch weiter weg. Ob die Wiederannäherung nach der Pandemie gelingt, bleibt abzuwarten.

Im Amateursport sind die Sorgen seit zwei Jahren noch existenzieller. Im Oktober 2021 hatte der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) für das erste Corona-Jahr 2020 einen Schwund von 792 119 Mitgliedschaften bei seinen 87 600 Vereinen beklagt, ein Rückgang von 2,85 Prozent.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort