Klimaaktivistin fordert Sofortmaßnahmen statt Langfristplan Greta Thunberg liest EU-Kommision Leviten

Brüssel · Greta Thunberg ließ sich nicht als schmückendes Beiwerk missbrauchen. Schon bevor die Brüsseler EU-Kommission am Mittwoch das erste Klimaschutzgesetz der Union offiziell präsentieren und zusammen mit der 17-jährigen schwedischen Aktivistin, die eigens aus Stockholm angereist war, im Umweltrat des Europaparlaments vorstellen konnte, gab es vernichtende Kritik.

 Die schwedische Aktivistin Greta Thunberg fordert von der EU Sofortmaßnahmen gegen die Erderwärmung.

Die schwedische Aktivistin Greta Thunberg fordert von der EU Sofortmaßnahmen gegen die Erderwärmung.

Foto: dpa/Olivier Matthys

Ein Klimagesetz, das nicht streng auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf einem gerechten Interessenausgleich zwischen Arm und Reich in der Welt basiere, schade mehr, als es nütze, schrieb die Galionsfigur der Bewegung „Fridays for Future“ in einem Brief an die EU-Kommission.

Entscheidend sei, dass für einen Stopp der globalen Erwärmung bei 1,5 Grad weltweit höchstens noch 340 Gigatonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen dürften – das sogenannte globale CO2-Budget. Gehe es so weiter wie bisher, reiche dies nur noch für acht Jahre. Drastische Gegenmaßnahmen seien sofort nötig. „Das muss sich in dieser Minute ändern“, forderte Thunberg. Sich auf die Zielmarke 2050 zu konzentrieren, bedeute aufzugeben. „Wir brauchen nicht nur Ziele für 2030 oder 2050“, schrieb Thunberg. „Wir brauchen sie vor allem für 2020 und jeden Monat und jedes Jahr, das nun folgt.“

Damit war die Dramaturgie von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon durchkreuzt, bevor sie überhaupt am Mikrofon stand. Dabei hatte sie sich doch einen historisch anmutenden Satz bereitgelegt: „Heute beginnen wir, die EU bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen.“ Und Kommissions-Vize Frans Timmermans, der für den Green Deal zuständig ist, ergänzte: „Heute lassen wir auf Worte Taten folgen, um den Bürgern der EU zu zeigen, dass wir es mit unserem Ziel der Treibhausgas-Neutralität ernst meinen.“

Wirklich? Die von Thunberg vermisste Entschlossenheit spiegelt das Paket nämlich durchaus wider. Bevor Ziele für 2030 vereinbart werden, sollen geeignete Maßnahmen zunächst einer Folgenabschätzung unterzogen werden. Man will, anders gesagt, herausfinden, ob sie den gewünschten Einspareffekt überhaupt erbringen. Dieser Prozess dauert bis Mitte 2021. Erst dann folgt ein Konzept, dessen Ziel in der Senkung der klimaschädlichen Gase um 50 bis 55 Prozent bestehen würde – gegenüber 40 Prozent wie bisher vereinbart. Später soll für die 20 Jahre bis 2050 ein EU-weiter „Zielpfad“ vereinbart werden, um überprüfen zu können, ob die dann geltenden Vorgaben eingehalten werden. Grundsätzlich gilt: Alle Mitgliedstaaten müssen mitmachen. Wer zu wenig beiträgt, wird bestraft. Ab 2030 will die Kommission die Führung übernehmen und praktisch definieren, wer was zu leisten hat.

„Wir brauchen mehr Zwischenziele“, kommentierte die Grünen-Fraktionschefin Ska Keller. Greenpeace sprach von einem „verlorenen Jahrzehnt“, wenn die Zielmarken bis 2030 nicht heraufgesetzt würden. Die angestrebte Reduzierung um 55 Prozent ist den Umweltverbänden nicht genug, sie fordern 65 Prozent. Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch vor immer schärferen Zielen, die die Unternehmen überfordern könnten. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) begrüßte zwar die „technisch machbaren und gleichzeitig verantwortbaren Ansätze“, hob aber vor allem hervor, dass die EU-Kommission die Möglichkeit lasse, „nachhaltige Emissionsminderungen in Drittstaaten anzurechnen“. Wer also in Europa weniger CO2 abbaut, kann Emissionszertifikate aus dem Ausland ankaufen. Kritiker befürchten, dass Unternehmen sich von einer Umrüstung ihrer Betriebe auf klimaneutrale Produktion lieber freikaufen, als in Zukunftstechnologien zu investieren.

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