„Tornados hat es immer gegeben“

Unpassierbare Straßen, zerstörte Dächer, überschwemmte Keller – in Deutschland wüten scheinbar immer mehr starke Unwetter. Zuletzt wurde das rheinhessische Framersheim von einem Wirbelsturm heimgesucht. Über Ursachen und Hintergründe sprach unser Korrespondent Stefan Vetter mit dem Tornadobeauftragten des Deutschen Wetterdienstes, Andreas Friedrich.

Herr Friedrich, wie ernst ist die Lage, wenn der Deutsche Wetterdienst schon einen Tornadobeauftragten hat?

Friedrich: Wir haben sicher kli matische Veränderungen, aber mein Amt gibt es bereits seit dem Jahr 2004. Auslöser war damals ein Tornado in Micheln in Sachsen-Anhalt mit sehr starken Verwüstungen. Meine Aufgabe ist es, alle Erkenntnisse aus der Tornadoforschung zusammenzutragen, um sie zum Beispiel für unser Warnmanagement zu berücksichtigen.

Wann spricht man "nur" von einem Unwetter und wann von einem Tornado?

Friedrich: Unwetter gehen mit Starkregen, Hagel und Orkanböen einher. Beim Tornado braucht es darüber hinaus eine Schauer- und Gewitterwolke, aus der sich ein Wolkenschlauch nach unten erstreckt und der Wind sich sehr schnell um eine senkrechte Achse dreht und den Erdboden erreicht.

Gefühlt nehmen Tornados extrem zu. Ist das auch wissenschaftlich belegt?

Friedrich: Nein. Das ist mal mehr und mal weniger. Seit der Jahrtausendwende haben wir pro Jahr zwischen 20 Tornados - das war 2001 - und 61 Tornados . Das war 2003. In diesem Jahr haben wir bislang 19 verzeichnet. Das ist nicht einmal ein Zehntel der Fälle, wie sie in der Gegend um Oklahoma in den USA üblich sind.

Wird 2015 ein Tornado-Jahr?

Friedrich: Jetzt ist ungefähr Halbzeit in der Tornado-Saison. Wir haben wie gesagt 19 Fälle gehabt. Hochgerechnet wären das etwa 40, also ein ganz normales Tornado-Jahr, wenn man die Schwankungsbreite von 20 bis 61 Fällen zugrunde legt.

Was ist die Ursache für das Phänomen? Die Erderwärmung?

Friedrich: Nein, das lässt sich nicht nachweisen. Die Zahl der Tornados schwankt, aber sie nimmt nicht zu. Die Ursachen hängen schlicht mit der Wetterlage zusammen. Tornados hat es schon immer gegeben. Die verheerendsten Fälle in Deutschland gab es in den Jahren 1800 und 1801. Sie sind nachgewiesen worden durch Überlieferungen, auch durch bildliche Darstellungen. Was sich verändert hat, ist die Tatsache, dass heute viel mehr Tornados entdeckt werden als früher.

Wie erklärt sich das?

Friedrich: Wir haben zum Bei spiel ehrenamtliche Unwetterbeobachter, die solche Wirbelstürme in Deutschland verfolgen und melden, und mit denen wir kooperieren. Auch hat fast jeder ein Handy, mit dem er Unwetter dokumentieren kann. Kurzum, wir haben es in Deutschland eindeutig mit einem Abbau der Dunkelziffer zu tun.

Ist jede Region in Deutschland betroffen?

Friedrich: Ja, anders als in den USA, wo man von einer Tornado-Allee spricht, also von relativ wenigen betroffenen Gebieten, haben wir in Deutschland schon von Bayern bis an die Küsten Tornados gehabt.

Wie kann man sich schützen?

Friedrich: Anders als bei bloßen Gewittern, wo das Auto ein sicherer Ort ist, bieten einzig Keller und fensterlose Räume leidlich Schutz. Denn das gefährlichste an Tornados sind umher fliegende Gegenstände, deren Größe und Gewicht mit der Windgeschwindigkeit zunehmen.

Zum Thema:

HintergrundEin heftiges Unwetter hat im rheinhessischen Framersheim Schätzungen zufolge einen Schaden von mindestens fünf Millionen Euro verursacht. An die 100 Häuser seien am Dienstagabend beschädigt worden, sagte Ortsbürgermeister Ulrich Armbrüster gestern. Die Spanne der Schäden reiche von einzelnen weggeflogenen Dachziegeln über ganze weggerissene Dächer bis hin zu eingestürzten Gebäuden. In einer ersten Schätzung hatte Armbrüster den Gesamtschaden sogar auf acht bis zehn Millionen Euro geschätzt. lrs

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