London erweckt die Unterwelt zum Leben

London · Unterhalb von London erstreckt sich ein Netz aus Tunneln, Luftschutzbunkern und U-Bahn-Stationen, viele davon ausrangiert. Doch weil in der Metropole Platz knapp wird, funktionieren findige Menschen die Geisterstationen um.

 Steven Dring und Richard Ballard bauen im Londoner Untergrund Gemüse an. Foto: Pribyl

Steven Dring und Richard Ballard bauen im Londoner Untergrund Gemüse an. Foto: Pribyl

Foto: Pribyl

Das Wunderland liegt im Untergrund Londons. In den Tunnelgewölben tauchen derzeit Menschen in die fantastische Märchenwelt von Alice ab. Ein Spiegelsaal versteckt sich unterhalb des geschäftigen Bahnhofs Waterloo in der Innenstadt der Metropole. Die Besucher der Show "Alice's Adventures Underground" schauen nicht nur als Beobachter das Theaterstück an, sondern sind als Protagonisten gleichzeitig Teil davon. Sie verirren sich in den zahllosen röhrenförmigen Gängen, werden durch ein Labyrinth gescheucht und stürzen durch das Kaninchenloch.

Ein Live-Event im Keller der Großstadt - es ist nur ein Beispiel dafür, wie seit Jahren Londons Untergrund transformiert wird. Ausrangierte Schächte und Stationen der ältesten U-Bahn der Welt ziehen sich wie Spinnweben durch das riesige Areal einige Meter unter der Stadt. Etwa 40 der 270 Bahnhöfe entlang der 408 Kilometer langen Strecke haben sich im Laufe der Jahre zu Geisterstationen entwickelt. Weil aber in der Millionen-Metropole der Platz chronisch knapp ist und die Immobilienpreise durch die Decke schießen, geht der Trend immer häufiger nach unten. So vergrößern nicht nur Hauseigentümer ihr Heim durch Kellerräume, sondern auch Veranstalter blicken häufiger in Richtung Untergrund. Der ehemalige Banker Ajit Chambers etwa hat im Jahr 2009 das Startup "The Old London Underground Company" gegründet. Seine Idee? Der 42-Jährige möchte aus ehemaligen Haltestellen Bars , Kunstgalerien, Clubs und ein Museum machen.

Vier Großinvestoren hoben bereits die Hand und auch Bürgermeister Boris Johnson zeigt sich von dem Konzept begeistert. Als erstes Projekt gilt die Neugestaltung des geschichtsträchtigen Bahnhofs Down Street, den im Zweiten Weltkrieg unter anderem der damalige Premierminister Winston Churchill als kurzfristigen Luftschutzbunker nutzte. Erst vor wenigen Wochen lud die Londoner Nahverkehrsgesellschaft Transport for London (TfL) einige Unternehmen ein, ihre Ideen für die Transformation der Station zu präsentieren. Morgen soll die engere Auswahlliste für die besten Vorschläge stehen. Chambers schätzt, die TfL könnte Kapital in Höhe von umgerechnet etwa 4,8 Milliarden Euro erzielen, das wiederum in das marode U-Bahn-System investiert werden soll.

Andere Geisterstationen werden bereits immer wieder als Filmkulissen oder Fotolocations genutzt. So diente etwa die Station Aldwych als Drehort für die englische Serie "Sherlock". Die urbanen Jungbauern Steven Dring und Richard Ballard bauen in einem ehemaligen Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg Kräuter und Gemüse an. Den feinen Geschmack erhalten die Produkte durch LED-Lampen und die Temperatur, die in den von Haus aus relativ warmen Bunkern ganzjährig auf 16 Grad gehalten wird. "Es ist die perfekte Umgebung für alles, was wir hier anbauen wollen", sagt Ballard. Ab August verkaufen die Farmer unter Tage ihre Kresse, Erbsensprossen, Salat und Radieschen - unter anderem an den mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Koch Michel Roux.

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