Menschenhandel im Flatrate-Bordell?

Stuttgart. Die Verlesung der Anklageschrift dauert mehr als zwei Stunden - und danach schwirrt den Zuhörern der Kopf: Da ist die Rede von einer 16-jährigen Prostituierten, die zum Sex mit mehr als 50 Freiern am Tag gezwungen worden sein soll

 Ein mittlerweile geschlossenes Flatrate-Bordell. Foto: dpa

Ein mittlerweile geschlossenes Flatrate-Bordell. Foto: dpa

Stuttgart. Die Verlesung der Anklageschrift dauert mehr als zwei Stunden - und danach schwirrt den Zuhörern der Kopf: Da ist die Rede von einer 16-jährigen Prostituierten, die zum Sex mit mehr als 50 Freiern am Tag gezwungen worden sein soll. Da geht es um eine andere junge Frau, deren Unterleib sich durch die mutmaßliche Zwangsprostitution so stark entzündet haben soll, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann. Da wird von einer an Epilepsie erkrankten Prostituierten gesprochen, die einen Anfall erlitt und nicht zum Arzt gebracht wurde.Seit Freitag werden diese Fälle vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Sie sind Teil eines Prozesses, in dem es insgesamt um mehr als 20 rumänische Prostituierte geht, die von einer Menschenhändler- und Zuhälterbande nach Deutschland gelockt und zu ihrer entwürdigenden Arbeit gezwungen worden sein sollen. Zwei Hauptangeklagte, 34 und 36 Jahre alt, haben laut Staatsanwaltschaft die Strukturen für den Menschenhandel geschaffen, Anwerber organisiert und mit Strohmännern als Geschäftsführer Bordelle gegründet. Die acht weiteren Angeklagten sollen ihnen dabei geholfen haben. Sie sollen Frauen nicht nur für eigene Bordelle eingeschleust, sondern sie auch an andere Clubs abgegeben haben. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen. Zu den Vorwürfen schweigen alle Beschuldigten.

Ihre Bordelle sind vor knapp zwei Jahren in die Schlagzeilen geraten, denn das umstrittene Geschäftsmodell "Flatrate"-Puff erregte damals ein immenses Aufsehen. Viele der Frauen haben in einer als "Pussy-Club" bekannt gewordenen Kette gearbeitet. Dort konnten Freier zu einem Festpreis mit so vielen Frauen schlafen, wie sie wollten. Denjenigen Frauen, die fliehen wollten, wurde häufig mit Gewalt gedroht, so die Anklage.

"Flatrate"-Bordell, Zwangsprostitution, Menschenhandel: Angesichts der immensen Sicherheitsvorkehrungen und des großen Medieninteresses wird am Freitag schnell klar, worum es bei der Verhandlung auch geht. Starke Symbole im Kampf gegen die illegale Prostitution müssen her, so scheint es.

Auch die Politik plant neue Regeln für die Prostitution. Sie sehen auch ein Verbot der Flatrate-Preise vor. Zudem soll jede Prostituierte künftig gemeldet werden können und eine Erlaubnis für ihre Tätigkeit beantragen müssen. Auch eine Kondompflicht soll eingeführt werden. Wie diese kontrolliert werden soll, ist unklar.

Vor den Türen des Sitzungssaals hegt Juanita Henning vom Prostituiertenverband Dona Carmen Zweifel: Eine Meldepflicht führt in ihren Augen nur zu größerer Willkür der Ermittler. Man kämpfe dafür, dass Prostitution als reguläre Arbeit behandelt wird, für die im Wesentlichen das reguläre Arbeitsrecht gelten soll. Dadurch falle das Stigma der Prostituierten weg und sie würden eher wagen, gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen vorzugehen, meint Henning.

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