Deutsche Weihnacht im Königreich

London · Die Briten wollen den Geist der Weihnacht zurück und haben sich Deutschland als Vorbild auserwählt. Sogar ihr ureigenstes Weihnachtsgebäck beginnen sie gegen den deutschen Christstollen einzutauschen.

Traditionell war Weihnachten für die Briten eine recht unheilige Angelegenheit. Das fing mit Einkaufsorgien ab Anfang November an, setzte sich mit wilden Büropartys im Advent fort und endete mit Suff und Völlerei am "Christmas Day". Kommerz und Konsum dominierten das Fest. Jetzt scheint den Briten zu dämmern, dass ihnen inmitten all der ausgelassenen Feierei etwas verloren ging. Und wohin schauen sie, um den Geist der Weihnacht wiederzuentdecken? Nach Deutschland.

Immerhin haben sie den Deutschen ja schon den Weihnachtsbaum zu verdanken, genauer gesagt: Prinz Albert, dem deutschen Gatten von Queen Victoria, der den Brauch, einen Christbaum aufzustellen, 1841 einführte, worauf die Untertanen das Königshaus begeistert kopierten. Wobei es seine besondere Ironie hat, dass im Grunde die Deutschen den Briten den Christbaum zu verdanken haben. Bonifatius, der "Apostel der Deutschen" kommt nämlich aus England. Und auf ihn geht die Tradition des Weihnachtsbaums zurück, als Bonifatius im hessischen Geismar die Thor-Eiche fällte, aus dem Baumstumpf ein Tannenbaum wuchs und vom Heiligen zum Symbol des Glaubens erklärt wurde.

Eine englisch-deutsche Seelenverwandtschaft ist jedenfalls nicht abzustreiten, wenn es um Weihnachten geht. "Sobald die erste Adventskerze brennt", befand der Kolumnist Harry Wallop im "Telegraph", "umarmen wir unsere teutonischen Cousins aus einem einfachen Grund: Sie machen Weihnachten wirklich gut." Das geht so weit, dass die Briten sogar ihr ureigenstes Weihnachtsgebäck gegen deutsche Importware einzutauschen beginnen. Die "Mince Pie", ein rundes, mit Früchten und Nüssen gefülltes Pastetchen, ist in Gefahr, durch den Butterstollen verdrängt zu werden. Die Supermarktkette Waitrose meldete einen 50-prozentigen Umsatzzuwachs, und Konkurrent Sainsbury will 24 Prozent mehr Stollen verkauft haben als im Vorjahr. Kein Wunder, verkörpere doch der Stollen, so Wallop "ganz perfekt die deutsche Einstellung gegenüber Weihnachten: köstlich und schwelgerisch, und gleichzeitig reizend altmodisch und unglamourös".

Diese Qualitäten sehen die Briten auch bei einem Import, der in den letzten Jahren immer beliebter geworden ist: der Weihnachtsmarkt deutscher Prägung. Nachdem Birmingham vor 13 Jahren den Anfang gemacht hat, sind heutzutage Weihnachtsmärkte in jeder größeren Stadt des Königreichs anzutreffen - von Glasgow bis London, von Liverpool bis Cheltenham. In diesem Jahr wurden in Birmingham bis zu vier Millionen Besucher erwartet, die sich, wie der "Guardian" staunte, ein "Weihnachten mit deutschem Akzent" nicht entgehen lassen wollten.

Wie beliebt das deutsche Vorbild ist, zeigte sich vor ein paar Jahren. Damals beschlossen die Stadtväter dem Markt ein englisches Flair zu geben, indem man ihm ein Charles-Dickens-Thema verpassen wollte. Als die örtliche Zeitung "Birmingham Post" eine Sonderseite nach der anderen mit wütenden Leserzuschriften druckte, kam es zu einem Umdenken. Seitdem ist alles wieder deutsch.

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