Weihnachten im zerstörten Land

Tanauan · Rund sechs Wochen nach dem verheerenden Taifun stehen die Menschen auf den Philippinen weiter vor den Trümmern ihrer Existenz. Um zu überleben, müssen sie nach vorn schauen – auch an Weihnachten.

Feddie Boy Dubla sitzt auf einer umgestürzten Kokospalme, Wellen umspülen seine Füße. Die Brise ist frisch, die Sonne scheint. Einige Schwimmer tummeln sich im Meer. Der Strand von San Roque sieht aus wie das Paradies unter Palmen. "Diese wunderschöne See brachte so schrecklichen Schmerz und Kummer", sagt der 22 Jahre alte Fischer. Als "Haiyan" am 8. November eine Schneise durch die Zentral-Philippinen und den Osten des Landes zog, zerstörte er auch das Küstendorf. Mit mehr als 300 Kilometern pro Stunde raste der Taifun heran und peitschte das Meer auf, das wie eine Betonwand auf die Küste der Provinz Leyte knallte. Dublas Eltern starben. Ein paar Meter weiter steckt ein Holzkreuz im Sand. Es ist die Stelle, an der Dubla seine Mutter begrub. Ihre Leiche wurde, wie viele andere, erst Tage nach der Katastrophe gefunden. Mehr als 6000 Menschen starben in den betroffenen Gebieten. Mehr als vier Millionen verloren ihr Zuhause.

In Leytes Hauptstadt Tacloban hat das Geschäftsleben wieder eingesetzt. Erste Läden, Hotels, Restaurants und sogar eine Fast-Food-Kette haben aufgemacht. Bagger und Bulldozer räumen die Straße frei. Den Weg zum zerstörten Markt säumen Kleidungs- und Fruchtstände. Verschwunden ist der Leichengestank, der kurz nach dem Taifun allgegenwärtig war. Trümmer aber haben noch den Geruch von Fäule. Die Leiche einer jungen Frau sei erst vor wenigen Stunden nahe seinem Haus gefunden worden, erzählt Leon Angello in San Roque. Der 70-Jährige, seine Familie und 20 Nachbarn seien auf das Hausdach gestiegen und dort geblieben, bis das Wasser sich zurückgezogen habe. Einen Bruder aber habe die Flut mitgerissen.

Michelle Maraya schaut immer wieder in die schwarzen Leichensäcke, die vor der San-Joaquin-Kirche abgelegt werden. Der Kirchhof ist nun eine Grabstätte. "Ich komme jeden Tag her in der Hoffnung, dass ich mit meinen zwei Kindern wiedervereint werde", erzählt sie. Ihre vier Jahre alte Tochter und der zweijährige Sohn gelten mit der Großmutter und einer Tante als vermisst. Von acht weiteren Verwandten weiß Maraya schon, dass sie im Taifun gestorben sind. "Ich höre sie immer noch "Mama, Mama" rufen, als die dreckige Flut in unser Haus drang", sagt die 22-jährige Verkäuferin und wischt sich Tränen aus den Augen.

Eines macht die Menschen derzeit besonders traurig: das bevorstehende Weihnachtsfest. Nach einer Feier ist den wenigsten zumute. "Ich glaube, wir werden Weihnachten eine lange Zeit nicht feiern können", sagt Pacita de la Cruz, die durch den Taifun 15 Angehörige verloren hat, darunter ihren ältesten Sohn, ihre Schwiegertochter und den dreijährigen Enkel. Jetzt lebt sie mit elf weiteren Verwandten in einer kleinen, klapprigen Hütte.

In Tacloban packen derweil Mitarbeiter einer Hilfsorganisation Pakete mit Kleidung, Spielzeug, Keksen, Heften und weiteren Schulutensilien. Die Geschenke sollen an Heiligabend an Kinder verteilt werden. Eine der Helferinnen, sagt, sie wollten ihnen wenigstens etwas Freude bereiten - inmitten all der Verzweiflung und Trostlosigkeit. "Unsere Kinder haben Fürchterliches erlebt. Sie haben eine Pause verdient, in der sie von der Tragödie abschalten können."

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