Zehn verlorene Jahre

Meinung · Im zehnjährigen Krieg gegen die Taliban sind nach und nach die Ziele verloren gegangen. Um Rache und Terrorabwehr ging es anfangs. Dann aber, nach dem Sturz der Taliban, sehr schnell um "nation building", das Schaffen einer neuen, demokratischen Nation auf den Ruinen von Terror und Krieg

Im zehnjährigen Krieg gegen die Taliban sind nach und nach die Ziele verloren gegangen. Um Rache und Terrorabwehr ging es anfangs. Dann aber, nach dem Sturz der Taliban, sehr schnell um "nation building", das Schaffen einer neuen, demokratischen Nation auf den Ruinen von Terror und Krieg. Die Petersberger Konferenz Ende 2001, die Stammesversammlung 2002, die ersten Wahlen 2005 - all das wirkte wie ein Blitzsieg der Demokratie. Davon war auch Deutschland angetan. Es war ein rot-grüner Traum und zugleich die Rechtfertigung für die Entsendung der Bundeswehr - und für den Tod von 49 deutschen Soldaten. Kanzler Gerhard Schröder besuchte stolz und frohlockend eine Mädchenschule in Kabul.Heute haben sich die westlichen Truppen in ihren Feldlagern eingeigelt, ständig bedroht von Angriffen aus dem Hinterhalt. Inzwischen redet niemand mehr von den afghanischen Mädchen und ihren Chancen oder von der Demokratie. Selbst eine Machtteilung mit den Taliban scheint nicht mehr in Reichweite, weil die Radikal-Islamisten gleich ihre ersten Gesprächspartner in die Luft jagten. Jetzt geht es dem Westen nur noch um einen verlustfreien Abzug. Der ist de facto schmachvoll, darf aber nicht so wirken.

Die Fehler wurden gleich am Anfang gemacht. Man ließ es zu, dass sich die Taliban in pakistanische Stammesregionen zurückziehen konnten, weil man militärisch halbherzig zu Werke ging. Und eine Pakistan-Strategie gab es nicht. In Deutschland wurde die Mission den Bürgern als eine Art Brunnenbau mit Polizeischutz verkauft. Das Wort Krieg war tabu. Beim zivilen Aufbau gelang es nicht, stabile politische Strukturen zu schaffen. Und man gab zu wenig Geld für zu wenige Infrastrukturprojekte. Auch hier die gleichen Fehler: keine Strategie, halbherziger Mitteleinsatz, fehlende Koordinierung.

Im Ergebnis ist der Westen in Afghanistan im Kreis gelaufen, wie ein orientierungsloser Wanderer in der Wüste. Anfangs war man blind, weil die Anschläge von New York zu einer schnellen Reaktion trieben. Dann war man blind vor Euphorie über die ersten Erfolge. Schließlich versuchte man nur noch, die lange Durststrecke des Guerilla-Krieges durchzuhalten. Inzwischen ist die Staatengemeinschaft fast wieder dort angelangt, wo sie vor zehn Jahren begann: bei gezielten Luftangriffen, neuerdings mit Drohnen, die die Taliban in Schach halten sollen.

Am Boden müssen ab 2014 die Afghanen selbst den Rest erledigen, wie damals schon die Nordallianz. Ob sie das schaffen oder nicht, ist völlig ungewiss. Wenn nicht, dann wird auch Afghanistan ein "failed state" werden, ein gescheiterter Staat, den von Somalia nur die westliche Lufthoheit unterscheidet. Das wäre ein sehr mageres und sehr bitteres Ergebnis dieses Krieges.

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