Kühne Kohle-Fantasien bekommen neue Nahrung

Essen. An der Tankstelle ärgern sich Deutschlands Bergleute wie alle anderen Bürger, doch bei der Arbeit unter Tage haben sie neuerdings wieder Grund zu guter Laune: Die explodierenden Energiekosten haben den Weltmarktpreis für Steinkohle innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Nun liegt er, völlig überraschend, in der Nähe der Gewinnschwelle für deutsche Bergwerke

Essen. An der Tankstelle ärgern sich Deutschlands Bergleute wie alle anderen Bürger, doch bei der Arbeit unter Tage haben sie neuerdings wieder Grund zu guter Laune: Die explodierenden Energiekosten haben den Weltmarktpreis für Steinkohle innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Nun liegt er, völlig überraschend, in der Nähe der Gewinnschwelle für deutsche Bergwerke. Noch vor einem halben Jahr berichtete das Fachblatt "Steinkohle" breit über Umschulungen zum Feuerwehrmann. Jetzt setzen Optimisten sogar wieder auf das ehrgeizigste Montanprojekt im Ruhrgebiet: den Plan einer neuen Zeche, ganz ohne Subventionen, mit der besonders lukrativen Kokskohle im Feld Donar bei Hamm. Prompt rüttelt die Bergbau-Gewerkschaft IGBCE am Kohleausstiegsgesetz von 2007, das nach langem politischen Streit die Schließung der noch sieben deutschen Bergwerke bis 2018 mit einer Revisionsmöglichkeit 2012 vorsieht. Am Wochenende forderte IGBCE-Chef Hubertus Schmoldt die sofortige Überprüfung der geplanten Grubenschließungen (wir berichteten) und bekam Unterstützung von der nordrhein-westfälischen SPD. Ob das bloßes Sommertheater bleibt, entscheidet allein der Preis. Doch dessen Entwicklung sei wegen zunehmender Spekulation mit Rohstoffen völlig unberechenbar, meinen Experten. Rund 140 Euro werden derzeit je Tonne Kraftwerkskohle gezahlt, an den Spotmärkten gibt es sogar Notierungen jenseits der 150 Euro, sagt Andreas-Peter Sitte vom Gesamtverband Steinkohle. Die Produktionskosten in Deutschland beziffert die Branche im Schnitt auf rund 170 Euro, einzelne Zechen arbeiten günstiger. So wäre der Abbau im saarländischen Feld Primsmulde, der wegen der schweren Erderschütterung vom 23. Februar gestoppt wurde, mit 140 Euro bereits weit in den schwarzen Zahlen. "Die Schere zwischen Weltmarktpreis und deutschen Produktionskosten wird immer kleiner", sagt Fachmann Sitte. Die Kohleproduzenten China und USA bräuchten immer größere Mengen des Rohstoffs selbst und würden zu Netto-Importeuren. Südafrika fahre den Export herunter, zugleich steige der Kohleverbrauch in Schwellenländern wie Indien, Indonesien und Brasilien stark an. Zudem verteuere die weltweit fehlende Schiffskapazität die Transporte enorm. Auch deshalb erwartet Sitte weiter steigende Preise. Das sieht der Geschäftsführer des Vereins der Kohleimporteure, Wolfgang Ritschel, anders. Zwar könne der hohe Preis einige Zeit Bestand haben. Doch weltweit würden neue Bergwerke erschlossen, der globale Wirtschaftsboom und mit ihm der Energiehunger müsse sich nach Jahren ungewöhnlichen Wachstums irgendwann abschwächen. Zusätzlich verweist Ritschel auf steigende Kosten der Zechen, weil auch der in Bergwerken massenhaft gebrauchte Stahl Spitzenpreise erzielt. Die Steinkohle, so sein Fazit, werde es auch künftig schwer haben. Der oberste Chef der deutschen Bergwerke, Wilhelm Bonse-Geuking, lenkt den Blick auf die Konkurrenz: Sie lädt die Kohle, etwa in den USA, im bodennahen Tagebau zu deutlich geringeren Kosten fast ohne Bohrungen auf Lastwagen und Bahnwaggons, während deutsche Bergleute 1500 Meter in die Tiefe müssen. Nur zwei Profiteure des Booms stehen fest: die Finanzminister des Bundes und von Nordrhein-Westfalen. Nach der ursprünglichen Planung sollten sie die deutsche Steinkohle 2008 mit zusammen rund 2,4 Milliarden Euro subventionieren. Nun dürften sie wegen des höheren Kohlepreises eine hohe dreistellige Millionensumme einsparen.

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