Grelles Licht auf die düstere Wahrheit von Guantánamo

Brüssel. Noch ist die Zurückhaltung deutlich zu spüren, wenn es in Europa um die Aufnahme ehemaliger Guantánamo-Häftlinge geht. Aber immerhin: Deutschland und einige andere EU-Mitglieder boten gestern beim Treffen der Außenminister ihre Unterstützung an, wenn die USA offiziell um Hilfe bitten

Brüssel. Noch ist die Zurückhaltung deutlich zu spüren, wenn es in Europa um die Aufnahme ehemaliger Guantánamo-Häftlinge geht. Aber immerhin: Deutschland und einige andere EU-Mitglieder boten gestern beim Treffen der Außenminister ihre Unterstützung an, wenn die USA offiziell um Hilfe bitten. Voraussetzung für eine Aufnahme ist allerdings, dass es sich um nachweisbar unschuldige Insassen des Gefangenenlagers handelt, die bei einer Rückkehr in ihre Heimatländer von Folter bedroht wären. "Wir haben von der europäischen und der deutschen Seite in den letzten Jahren vielfach und lautstark die Auflösung von Guantánamo gefordert", sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Brüssel. Deshalb sei es auch eine Frage der Glaubwürdigkeit, ob man nach der Entscheidung des neuen US-Präsidenten Barack Obama zur Schließung von Guantánamo dessen Kurs unterstütze oder nicht. Nachdem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) seinen anfänglichen Widerstand relativiert hat, will die große Koalition schon in den nächsten Tagen ihre Linie festlegen. Derweil warnen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und der Europa-Abgeordnete Markus Ferber (beide CSU) unisono vor einer Aufnahme ehemaliger Häftlinge. Terrorverdächtige müssten der ordentlichen Gerichtsbarkeit übergeben werden, sagte Ferber unserer Zeitung. Zudem seien die USA verpflichtet, unschuldig Inhaftierten Asyl zu gewähren. Europa dürfe nicht "die Suppe auslöffeln, die Amerika zu verantworten hat".Nach Angaben des EU-Außenbeauftragten Javier Solana geht es um rund 60 der insgesamt 245 Guantánamo-Häftlinge, die nachweislich unschuldig festgehalten wurden. Neben Deutschland sind offenbar auch Frankreich, Finnland und einige weitere EU-Staaten bereit, die Betroffenen aufzunehmen. Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande dagegen schließen eine Aufnahme von Guantánamo-Insassen aus. Auch künftig gilt deshalb der Grundsatz, dass jedes Land in dieser Frage selbstständig entscheiden kann. Das Tableau der Außenminister erscheint brauchbar. Kein EU-Mitglied wird demnach gezwungen, einen ehemaligen Häftling aufzunehmen. Dies ist ein akzeptabler Weg - selbst dann, wenn man die Skepsis des Bundesinnenministers teilt. Schäuble argwöhnt, die USA hätten auf Kuba ja wohl niemanden ohne Grund inhaftiert. An einer Bedingung der Europäer ist allerdings nicht zu rütteln: Die US-Regierung muss schonungslos offenlegen, wer aus welchem Grund in Guantánamo festgehalten wurde. Das klingt selbstverständlicher, als es ist. Denn die neuen Mächtigen in Washington müssten damit enthüllen, dass ihre Vorgänger manchen Unschuldigen weitgehend willkürlich zum angeblichen Terroristen erklärten. Der politische Eklat wäre vergleichbar mit der Misshandlung irakischer Kriegsgefangener im Folter-Gefängnis von Abu Ghraib.Keine Frage: Die Ära George W. Bush bedarf der Aufarbeitung, und Guantánamo ist darin ein besonders heikles Kapitel. Die Außenminister der EU-Länder haben mit ihrem Beschluss zur Aufnahme unschuldiger Ex-Häftlinge einen Schritt unternommen, um die USA zur Aufarbeitung genau dieser dunklen Kapitel zu zwingen. Ohne schonungslose Offenlegung der Schicksale wird es keine Unterstützung bei der Auflösung von Guantánamo geben. Doch dieser Preis ist hoch - selbst für Barack Obama.

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