Dem Krieg so nahe

Meinung · In ihrer Haut möchte man nicht stecken. Noch kein Kanzler der pazifistisch gewordenen Bundesrepublik ist dem Krieg so nahe gerückt wie Angela Merkel. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und dessen tödliche Folgen prägen und überschatten schon jetzt ihre zweite Amtszeit. Der Krieg, er ist zu Merkels Thema geworden. Mit Verzögerung

In ihrer Haut möchte man nicht stecken. Noch kein Kanzler der pazifistisch gewordenen Bundesrepublik ist dem Krieg so nahe gerückt wie Angela Merkel. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und dessen tödliche Folgen prägen und überschatten schon jetzt ihre zweite Amtszeit. Der Krieg, er ist zu Merkels Thema geworden. Mit Verzögerung. Denn auch sie hatte lange so getan, als gäbe es ihn nicht, den Krieg am Hindukusch. Bis sich die Kanzlerin vor den Särgen der Gefallenen verneigen musste. Jetzt redet sie von Tapferkeit und Mut, von Soldaten, die in Hinterhalte und unter Feuer geraten, von Tod und Gefahren. Merkels Regierungserklärung war auch ihr ganz persönliches Ankommen in der Realität. Die Soldaten nahe Kundus und anderswo werden es als wohltuend empfinden, dass die Politik von höchster Stelle aus endlich öffentlich anerkennt, was sie täglich erleben müssen. Kaum ein Soldat hat sich doch um die Mission in Afghanistan gerissen. Sie wurden vom Parlament, von den Volksvertretern dorthin geschickt. Deshalb hat jeder Soldat, jeder Angehörige und jeder Bürger einen Anspruch darauf, immer wieder die Beweggründe zu erfahren, warum es so fundamental wichtig sein soll, dass Deutsche ihr Leben in der Ferne riskieren müssen. Angela Merkel hat dies im Bundestag versucht, indem sie die seit 2001 stets ähnlichen Argumente vorbrachte: Auch Deutschland steht im Visier des internationalen Terrorismus, ein Abzug würde Extremisten in aller Welt ermutigen. Das ist richtig, aber diese Erklärungen sind inzwischen zu dürftig. Soldaten und Bürger wollen ebenso wissen: Was ging schief in Afghanistan? Warum ist die Sicherheitslage nach gut neun Jahren dort nicht besser, sondern schlechter geworden? Und weshalb redet die Bundesregierung jetzt über einen Abzug, der unter anderen Gegebenheiten noch undenkbar war? Dazu schwieg Merkel. Je miserabler die Lage, desto besser die Abzugs-Perspektiven, könnte man daher spotten. Nein, Merkels Regierungserklärung, so schonungslos sie auch war, ließ vieles offen. Wenn ihre Darstellung zutrifft, dass der Stabilisierungseinsatz nicht mehr der ist, der er über Jahre gewesen sein soll, dann muss klar und deutlich über die Konsequenzen diskutiert werden. Dann ist es Aufgabe der Regierung, eine neue Einigkeit herzustellen, mit dem Parlament, mit der Bundeswehr, mit der Öffentlichkeit, die die Truppe nach Hause holen will. Gestern wäre eine gute Gelegenheit gewesen, eine solche Debatte anzustoßen und ihr eine Richtung zu geben. Merkels eindringliche Worte in allen Ehren - die Kanzlerin muss noch mehr liefern.

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