Das Zentrum der offenen Wunden

Berlin. Seit jene, die das Thema allzu sehr für sich instrumentalisieren wollten, zurückgedrängt sind, kommt das Zentrum gegen Vertreibungen voran. Auf der deutschen Seite waren das Erika Steinbach und ihr Bund der Vertriebenen, auf polnischer Seite die Nationalkonservativen um den inzwischen abgewählten Premier Jaroslaw Kaczynski

Berlin. Seit jene, die das Thema allzu sehr für sich instrumentalisieren wollten, zurückgedrängt sind, kommt das Zentrum gegen Vertreibungen voran. Auf der deutschen Seite waren das Erika Steinbach und ihr Bund der Vertriebenen, auf polnischer Seite die Nationalkonservativen um den inzwischen abgewählten Premier Jaroslaw Kaczynski.Erinnern soll die Berliner Dokumentationsstätte an die Vertreibung von Millionen Deutschen aus dem Osten im historischen Zusammenhang mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Und offenbar sind die Wunden noch zu tief, offenbar ist der Schritt vom Verstehen über das Verzeihen zum Versöhnen noch zu groß, als dass sich die unmittelbar Betroffenen beider Seiten selbst über eine geeignete Form des Erinnerns einigen könnten. Eine Form auch, die nach vorne weisen würde. Dass das noch nicht geht, ist nach mehr als 60 Jahren zweifellos ein Armutszeugnis und zeigt, wie viel Arbeit der Bewältigung noch zu tun ist. Nun sind viele indirekte Lösungen gefunden worden, kompliziert und diplomatisch, die alle dem Ziel dienen, die verschiedenen Empfindlichkeiten und Reflexe zu minimieren. Das Zentrum gegen Vertreibungen heißt etwas verquer "Sichtbares Zeichen gegen Flucht und Vertreibung" und ist in Wirklichkeit wenig sichtbar. Es ist eine Dauerausstellung in einem relativ unscheinbaren Gebäude am Rande des Berliner Zentrums. Polen erklärt sich weder einverstanden noch dagegen, sondern duldet es durch die Beteiligung eigener Historiker nur passiv, und die Vertriebenen werden bei der Gestaltung so weit als möglich herausgehalten. Eingebettet wird das Ganze in einen größeren Zusammenhang, das europäische Netzwerk "Erinnerung und Solidarität", und im Gegenzug begleitet von deutschen Zahlungen für ein Denkmal auf der Westerplatte bei Danzig, das an den Angriff auf Polen erinnert. Die Vertriebenen und ihre Nachfahren, die eigentlich ein einfaches Mahnmal für das an ihnen massenhaft und brutal begangene Unrecht wollten, werden das alles zu vage, zu verschwiemelt empfinden. Zumal der Anstoß aus ihren Reihen kam. Doch sind sie, ebenso wie die Nationalkonservativen in Polen, Teil jener anhaltenden Unvernunft, die solche komplizierten Kompromisse erzwingt. Auch wenn die Zeiten des "Dreigeteilt niemals" vorbei sind - noch immer gibt es bei ihnen solche, die Rückgabe und Entschädigung verlangen. Und noch immer gibt es die anhaltend einseitige Sicht auf die Geschichte, in der die fast 14 Millionen deutschen Vertriebenen nur Opfer waren und nicht auch Angehörige des Tätervolkes, das die Vertreibungskette erst ausgelöst und das seinerseits Millionen Polen getötet oder vertrieben hat. Deshalb können die deutschen Vertriebenen-Verbände nicht Träger eines Denkmals sein, das zu einer Aussöhnung beiträgt. Nur das aber kann der Sinn des Gedenkens sein. Dem Berliner Projekt ist zu wünschen, dass es ähnlich wie das Holocaust-Mahnmal viele Menschen, vor allem viele Jugendliche, anzieht und zur Auseinandersetzung anregt. Über ethnischen und religiösen Hass, nationalen Wahn und Rassismus im Allgemeinen und in seiner singulären deutschen Ausprägung. Vielleicht sollte die Ausstellung aber auch den Streit um sich selbst darstellen, denn der ist auch ein Lehrstück dafür, was die Hitlerei in Europa angerichtet hat - mit den unmittelbar betroffenen Menschen und noch mit vielen Generationen danach.

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