„Schwulsein nicht problematisieren“

Sein Debüt „Heile Welt“ wurde auf dem Diagonale-Festival als „Bester österreichischer Spielfilm“ prämiert und beim Filmfest Oldenburg mit dem „German Independence Award“ ausgezeichnet. Mit seinem zweiten Film „HomeSick“ präsentierte Jakob M. Erwa auf der Berlinale einen raffinierten Psychothriller um eine junge Cellistin. Nun folgt die Verfilmung des Bestsellers „Die Mitte der Welt“ von Andreas Steinhöfel. Es ist eine Coming-of-Age-Geschichte über einen 17-Jährigen, der sich rettungslos in seinen Mitschüler verliebt. Trotz des schwulen Themas wurde der Film auf das Festival von Moskau eingeladen. Mit dem Regisseur sprach SZ-Mitarbeiter Dieter Oßwald.

 Phil (Louis Hofmann, rechts), seine große Liebe Nicholas (Jannik Schümann) und seine beste Freundin Kat (Svenja Jung). Foto: Universum Film

Phil (Louis Hofmann, rechts), seine große Liebe Nicholas (Jannik Schümann) und seine beste Freundin Kat (Svenja Jung). Foto: Universum Film

Foto: Universum Film

Herr Erwa, wie waren Ihre Erfahrungen mit einem schwulen Film auf dem Festival von Moskau vertreten zu sein?

Erwa: Das war schon spannend, weil ich nicht gewusst habe, was mich dort erwarten würde. Die Zensur würde so einen Film verbieten, deshalb wird er in Russland nie regulär in die Kinos kommen. Umso mehr hat mich die Reaktion des Publikums gefreut. Nach der Vorstellung kamen Zuschauer wirklich mit Tränen in den Augen und haben sich bedankt, weil sie hier sehen konnten, dass ein schwules Leben möglich ist.

Wie waren die Reaktionen der Medien?

Erwa: Auf der Pressekonferenz wurde gefragt, ob es denn normal sei, in Deutschland so zu leben. Einer wollte wissen, wie ich denn erzogen wurde, dass ich so einen Film drehe. Darauf sagte ich, dass meine Eltern mich wohl als selbstständig denkenden Menschen erzogen hätten. Und ich mir aussuchen könne, wen und wie ich lieben kann.

Die sexuelle Orientierung ist in Ihrem Film als völlig selbstverständlich gesetzt. Gehört das Thema Coming Out der Vergangenheit an?

Erwa: Coming Out-Filme werden immer eine Berechtigung haben. Aber ich finde es wichtig, dass Schwulsein nicht ständig nur als Problem dargestellt wird. Im Roman von Andreas Steinhöfel stellt die Problematisierung der sexuellen Orientierung noch einen der Handlungsstränge dar. Im Film wollte ich darauf verzichten, weil schwul, lesbisch, bi- oder transsexuell zu sein für heutige Jugendliche oft überhaupt kein großes Thema mehr darstellt.

Wie heikel ist die Inszenierung von Sex-Szenen mit jungen Darstellern?

Erwa: Das ist eine große Verantwortung und es verlangt besondere Behutsamkeit, schließlich sind die Darsteller bei solchen Szenen nicht nur körperlich nackt, sondern auch emotional fallen alle Hüllen. Eine Vertrauensbasis ist deswegen enorm wichtig. Zu Vorbereitung haben wir viel über Scham und Intimität und Sex im Allgemeinen und speziellen gequatscht. Hemmungen abbauen und Vertrauen aufbauen war die Devise. Am nächsten Tag war klar, dass diese Szenen kein Problem mehr sein werden.

Wie wichtig sind diese Sex-Szenen?

Erwa: Bei manchen Filmen finde ich Sex-Szenen völlig überflüssig. Zudem hat man oft das Gefühl, das alles dient lediglich einem billigen Voyeurismus. Ich wollte die Sex-Szenen, weil mir die Beschreibung von Sinnlichkeit und Leidenschaft im Roman sehr gut gefiel. Und schließlich gehört Sex zum jugendlichen Leben so wie die Musik. Außerdem ist es mir ein Anliegen zu zeigen, dass schwuler Sex wie hetero Sex zärtlich, sinnlich und sehr schön anzusehen sein kann.

Welchen Einfluss hatte der Roman-Autor Andreas Steinhöfel auf die Verfilmung?

Erwa: Ursprünglich wollte ich das Drehbuch gemeinsam mit Andreas schreiben. Aber der lehnte ab, weil er schon zu viele Adaptionen las, die ihm nicht gefielen. Die Freiheit, die er mir gelassen hat, war wunderbar. Ihr Hauptdarsteller Louis Hofmann gilt mittlerweile als das ganz große Nachwuchstalent, mit "Unter dem Sand" geht er sogar ins kommende Oscar-Rennen. Wie haben Sie ihn entdeckt?

Erwa: Louis kam ganz normal zum Casting - und ich war sofort hin und weg von ihm. Er sucht bewusst nach komplexen Rollen. Je weiter die Figuren von ihm weg sind, desto reizvoller für ihn, weil er sich dann etwas trauen muss. Dass seine Karriere gerade riesige Sprünge macht, wundert mich nicht. Es ist für mich völlig klar, dass Louis mal einer der ganz Großen in Deutschland wird.

Ab morgen in der Camera Zwo (Sb), Kritik in treff.region.

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