Die verlorene Ehre des Enrico Lunghi: Mudam-Chef geht

Luxemburg · Der Rücktritt von Luxemburgs Mudam-Chef Enrico Lunghi zieht im Großherzogtum politische Kreise. Vor Monatsfrist war Lunghi unter Beschuss geraten, nachdem er in einem Interview gegenüber einer RTL-Journalistin handgreiflich geworden war. Auch nachdem er öffentlich Abbitte geleistet hatte, hielt Luxemburgs Premier und Kultur- sowie Medienminister Xavier Bettel an dem eingeleiteten Disziplinarverfahren gegen Lunghi fest. Dieser sieht sich nun als Opfer einer Diffamierungskampagne.

Die Nachricht am vergangenen Wochenende kam überraschend: Enrico Lunghi tritt als Direktor des Luxemburger Mudams zurück und wird das Museum Ende des Jahres verlassen (siehe "SZ" von gestern). Im Dunkeln blieben die Gründe für Lunghis Schritt. Und damit auch die Frage, ob sein Rücktritt im Zusammenhang mit einem RTL-Interview steht, bei dem Lunghi im September gegenüber einer RTL-Mitarbeiterin angeblich handgreiflich geworden sein soll. In einem Schreiben an die Mitglieder des International Committee for Museums and Collections of Modern Art (Cimam), das die Zeitung "Luxemburger Wort" gestern veröffentlichte, hat der 53-Jährige nun seine Beweggründe erläutert.

Lunghi bezeichnet darin die vermeintliche Interview-Affäre, die seinerzeit für erhebliche Wellen sorgte, jedoch nach seiner Entschuldigung ebenso schnell beendet schien, als "niederträchtige, verlogene Verletzung meiner Ehre und meines Rufs". In dem Brief kündigt er an, die (nicht näher bezeichneten) "Verfasser dieser Verleumdung" zu verklagen.

Lunghis Schreiben verdeutlicht, dass er selbst davon ausgegangen war, dass die Causa nach seiner Abbitte ad acta gelegt würde. Der Sender RTL wie auch der Mudam-Verwaltungsrat hatten danach eingelenkt - nicht jedoch, wie Lunghi betont, Premier und Kulturminister Xavier Bettel, der an dem eingeleiteten Disziplinarverfahren gegen ihn festhielt. Dass der mangelnde Rückhalt Bettels (und die fehlende Unterstützung des Mudam-Vorstandes, wie Lunghi an anderer Stelle erwähnt) Lunghi demoralisierte, verdeutlicht die Bemerkung, dass weder Bettel noch sonst jemand aus dem Kulturministerium je "meine Version des Sachverhalts" habe hören wollen.

Aufschlussreich ist das Postscriptum des Schreibens: Darin empfiehlt Lunghi "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (wieder) zu lesen. In Heinrich Bölls Erzählung von 1974 bezichtigen Boulevardmedien die Titelfigur einer Straftat, die sie nie beging.

Lunghis in dem Cimam-Schreiben gezeichnete Chronologie der Ereignisse enthält pikante Details: So erinnert er daran, dass das am 13. September geführte und eine Woche später gesendete RTL-Interview seinen "Wutausbruch" nicht thematisierte. Erst 14 Tage später sei in derselben RTL-Sendung ("De Nol op de Kapp") damit aufgemacht worden, dass er der Interviewerin den Arm verdreht habe. Lunghi selbst erklärt in seinem Demissionsschreiben, die Journalistin, der er am 5. Oktober in einem Entschuldigungsschreiben noch eine "baldige Genesung" gewünscht hatte, "in keiner Weise verletzt" zu haben. Derweil haben sich Künstler und Galeristen gestern (ohne Nennung von Namen) mit Lunghi solidarisiert. Auf der Cimam-Webseite heißt es, seine Kritiker hätten ihn seit Jahren drangsaliert. Ex-Kulturministerin Octavie Modert wird im "Luxemburger Wort" mit den Worten zitiert, Bettel habe "mehr als Medien- und weniger als Kultur-Minister gehandelt. Er liebt die Medien mehr als die Kultur." Modert zufolge habe Lunghi auch damit zu kämpfen gehabt, dass seine Ausstellungspolitik oft in der Kritik stand.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort