„Mein Vater liebte mich, aber er konnte mich nicht ausstehen“

Frankfurt · Auf der Bühne ein Kraftpaket, dahinter ängstlich: Die Bekenntnisse von Bruce Springsteen überraschen. Seine Autobiografie hat er jetzt am Rand der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.

 Bruce Springsteen bei der Buchvorstellung in Frankfurt. Foto: dpa

Bruce Springsteen bei der Buchvorstellung in Frankfurt. Foto: dpa

Foto: dpa

Als im September 2001 zwei Flugzeuge das World Trade Center durchbohrten, fuhr Bruce Springsteen aus New Jersey die Küste hoch und schaute auf die rauchende Metropole. Ein Fan sprach ihn aus seinem Auto heraus an. "Bruce, wir brauchen dich!", sagte er. Der Sänger fuhr in sein Haus, schrieb neue Lieder und gab seiner Nation Hoffnung. Der Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen, der nicht niederzuringen ist, sang "This Land Is Your Land". Er ist "der Boss".

Sein Buch, das er nun in Frankfurt vorgestellt hat, zeigt keinen Boss. Sondern einen von Furcht gepackten, schwermütigen Menschen. "Meine Depression sprudelt wie Öl aus einem lecken Tanker direkt in den wunderschönen türkisblauen Golf meiner sorgfältig geplanten Existenz", schreibt er. Ein krudes Bild, aber eine ehrliche Aussage. Ein "manisch-depressiver Trapezkünstler" sei er, "gemein, hässlich, Gift verpestete meine Gene". Dann ein erschreckender Satz: "Ich wollte vernichten, was mich liebte, weil ich es nicht ertragen konnte, geliebt zu werden." Schuld daran hat der Vater. "Er liebte mich, aber er konnte mich nicht ausstehen", sagt der Sohn nüchtern. Die Familie lebte in Freehold, New Jersey, "im Schatten des Kirchturms, halbwegs verquer in Gottes Gnade". Die Mutter gibt ihm viel Liebe. Aber der Junge will kein Muttersöhnchen sein.

Der Vater, der am Fließband malocht, schweigt, säuft am Küchentisch, manchmal schlägt er plötzlich zu. Erst als Jugendlicher versteht der Sohn, dass der Vater an einer bipolaren Störung leidet, an schizophrenen Schüben und Wahnvorstellungen. Erst dann begreift er, warum die Mutter ihren Mann nicht aufgibt - sie will ihm helfen. Der Sohn auch, doch bis zuletzt bleibt das Verhältnis schwierig. Als der Vater stirbt, trägt der Sohn ihn zu Grabe. "Dad", spricht er zum Leichnam. "Dieser Mann dort auf der Bühne. . . Das bist du." Auf der Bühne schlüpfe er "quasi in die Kleidung meines Vaters, eines Fabrikarbeiters", erklärt der Rockmusiker. Seit 50 Jahren ist Amerika sein Thema - Alltag, Kampf, Hoffnung. Wer von ihm das definitive Buch zum amerikanischen Traum erwartet hat, fühlt sich womöglich enttäuscht. Springsteen aber geht es um "diese andere Sache", "eine gute alte Freundin" - die Depression. Er verknüpft seine eigene Krankheit mit der Depression seiner Nation, der wie nie zuvor gespaltenen Gesellschaft. Man erfährt zwar alles über seine Karriere, seine Songs, seine Frauen, seine Autos. Aber mehr noch von seinen Plagen, den drohenden Tiefen der Depression. "Ich muss auf der Hut bleiben", schreibt er. Springsteen, der Getriebene.

Bruce Springsteen: Born to Run - die Autobiografie. Heyne, 672 Seiten, 27,99 Euro.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort