Wie die Weltmeister

Frankfurt · Am Wochenende öffnet die Frankfurter Buchmesse fürs Publikum; bis dahin sind Fachbesucher am Zug. Ein Rundgang über die Messe, bei der sich stets hehre Inhalte und kalkuliertes Geschäft gegenüberstehen – was Verlage schon an den hohen Standmieten merken.

 Der französische Ministerpräsident Manuel Valls (oben) schaut Comiczeichnern über die Schulter. Rechts daneben spricht Ensaf Haidar, Ehefrau des politischen Gefangenen und saudischen Internet-Aktivisten Raif Badawi, bei der Verleihung des Raif Badawi Awards an Flüchtlingsjournalistinnen im Irak. Rechts oben: ein Wahrzeichen des Gastlandes Flandern, goldbraun frittiert. Fotos: dpa

Der französische Ministerpräsident Manuel Valls (oben) schaut Comiczeichnern über die Schulter. Rechts daneben spricht Ensaf Haidar, Ehefrau des politischen Gefangenen und saudischen Internet-Aktivisten Raif Badawi, bei der Verleihung des Raif Badawi Awards an Flüchtlingsjournalistinnen im Irak. Rechts oben: ein Wahrzeichen des Gastlandes Flandern, goldbraun frittiert. Fotos: dpa

Das Getöse in den Messehallen ist noch gedämpft. Erst zum Wochenende ist die Buchmesse für das allgemeine Publikum geöffnet, noch sind die Fachbesucher am Zuge und schließen ihre Geschäfte ab, bahnen neue an. Verlagsmitarbeiter, Buchhändler, Kritiker und Autoren, Agenten, Übersetzer, in- und ausländische Rechtehändler haben Namen und Themen im Kopf. Schade eigentlich, dass Bob Dylan kaum in Büchern präsent ist, sagen manche, die den wirtschaftlichen Erfolg der Gleichzeitigkeit von Literaturnobelpreis und Buchmesse immer geschätzt hatten. Bleibt immerhin Bodo Kirchhoff. Aber da wird schon an seiner Buchpreisnovelle "Widerfahrnis" herumgemäkelt, wird hinter vorgehaltener Hand die Hoffnung ausgedrückt, dass "Kitsch sells", was andere unpassend und bösartig finden. Die Frankfurter Verlagsanstalt kann jedenfalls nicht so schnell drucken lassen, wie Kirchhoffs Werk aus den Buchhandlungen verschwindet. Ob das mit dem neuen Buch der Friedenspreisträgerin Carolin Emcke auch passiert, bleibt zu hoffen: "Gegen den Hass" kann auch als ihr berufliches Lebensmotto gesehen werden. Am Stand von S. Fischer hat die für sie verantwortliche Pressefrau Heidi Borhau alle Hände voll zu tun, um die Interviewwünsche mit Emcke zu koordinieren. Am Sonntag wird die Autorin in der Paulskirche geehrt.

Natürlich ist die aktuelle Türkei ein Thema der Buchmesse - zu viele Freiheitsrechte für Autoren, Verlag und Presse stehen dort im Feuer. Welch ein Glück, dass mit der "Niederländischen Sprachregion" ein doppelt vereint auftretender Ehrengast den Blick wieder auf die Literatur und auf gute Nachbarschaft lenkt. Die Niederlande und die belgische Region Flandern haben einen tollen Auftritt hingelegt. Ihre Halle beeindruckt, ebenso die Zahl der Autoren, die Bandbreite der Themen, die Qualität. Auch einige Abendveranstaltungen in der Stadt waren bemerkenswert. Am Mittwoch trat Douwe Draaisma aus Groningen in der Zentralbibliothek mit Landsmann Geert Mak auf und stellte ihr Buch "Halbe Wahrheiten. Vom seltsamen Eigenleben unserer Erinnerung" vor.

Der Ehrengast im nächsten Jahr ist Frankreich. So schwer sich die Offiziellen im Land taten, auf die Einladung für 2017 überhaupt zu reagieren, so gespannt sind alle auf den Auftritt unseres wichtigsten Nachbarn. Zu der gestrigen Pressekonferenz erschien eine hochrangige Delegation mit Premierminister Manuel Valls und der wegen der Kürzung des Deutschunterrichts an französischen Schulen umstrittenen Kulturministerin Audrey Azoulay an der Spitze. Alle nahmen das Versprechen mit: Das wird ein großer Auftritt der Grande Nation! Mal sehen, wer nach den Wahlen die französische Delegation 2017 anführen wird.

Die Frankfurter Buchmesse ist immer ein Zwitter gewesen: Inhalte der Reden und der Bücher vs. Geschäft. Die Messe selbst ist ein profitorientiertes Unternehmen, was sich in den Standmieten ausdrückt. Das sieht man als Flaneur in Frankfurt nicht - weil man diejenigen Verlage, die fehlen, eben nicht sieht. Nicht alle saarländischen Verlage, die man erwartet, konnten sich die Buchmesse leisten. Röhrich etwa fehlt, Conte dagegen findet man in Halle 4 mit seinem reichhaltigen Belletristik- und Krimiprogramm. Die Kosten, vor allem die Standmieten sind zu hoch. Fast muss man es klug nennen, wenn kleinere Verlage solche Subventionierung der reichen Frankfurter Messegesellschaft unterlassen. Oder sollte die Landesregierung an einen Messe-Zuschuss denken? Ein wichtiger Verlag wie Diogenes aus der Schweiz, der im vergangenen Jahr wegen des ruinösen Wechselkurses des Franken weggeblieben war, ist diesmal wieder dabei. In seinem Programm glänzt der Titel "Der Trick" des Saarbrückers Emanuel Bergmann, um dessen internationalen Erfolg sich die Händler bei den Frankfurter Vertragsverhandlungen intensiv kümmern.

Trotz der hohen Standpreise: Mehr als 7000 Aussteller aus über 100 Ländern - diesmal auch wieder mit Iran - setzen auf Frankfurt. Deutschland scheint ein gesegnetes Bücherland zu sein. Hier erscheinen die meisten neuen Bücher, die weltweit meisten Übersetzungen. Der Buchhandel schrumpft zwar weiter, ist aber dennoch in guter Verfassung. Der seit 2015 von der Bundesregierung vergebene Deutsche Buchhandelspreis zeichnet gute Buchhandlungen auch mit einer spürbaren materiellen Unterstützung aus. Die Logistik nach dem Motto "nachmittags bestellen, am nächsten Morgen liefern" ist zwar teuer, setzt aber dem Buchhandlungskonkurrenten Amazon deutliche Grenzen. Das E-Book tritt absatzmäßig auf der Stelle, aber das Papier ist nach wie vor ebenso geduldig wie gefragt: Die Verlage publizieren wie die Weltmeister. Osama bin Laden kauft Eis. Nachts, in Abbottabad. Vanilleeis. Das mag seine Lieblingsfrau. Und er mag den Klang des Wortes. So wie er amerikanische Zigaretten mag. Die raucht er heimlich neben dem Laden in der Stadt im Norden Pakistans, zu dem er ab und zu im Schutz der Dunkelheit mit einem alten, klapprigen Motorrad fährt. Rauchen ist eine Schwäche. Und der meistgesuchte Terrorist der Welt will keine Schwäche zeigen.

Der al-Qaida-Führer privat. Ein Mann, der hasst, der liebt, der Mitleid empfindet, der Angst hat und Gottvertrauen - so beschreibt der niederländische Schriftsteller Leon de Winter Osama bin Laden in seinem Roman "Geronimo". De Winter schafft Nähe zu einem Monster - und entfernt sich dabei mit fast jeder der knapp 450 Seiten von der offiziellen Version dessen, was die USA "Operation Neptun Spear" genannt haben, einen Militäreinsatz, den bin Laden nicht überleben sollte.

Der Mann, den de Winter beschreibt, riskiert etwas durch seine nächtlichen Ausflüge, durch das Verlassen des Hauses in Abbottabad, in dem er unauffindbar scheint, für die, die ihn seit dem 11. September 2001 jagen. Wenige Wochen nach Eis- und Zigarettenholen kriegen sie ihn - nicht beim nächtlichen Einkaufen, die US-Spezialeinheiten überraschen den Staatsfeind Nummer eins im Schlaf. Es ist die Nacht auf den 2. Mai 2011, als das Navy-Seals-Team 6 dem Präsidenten melde: "Geronimo! - Wir haben ihn!" "Geronimo", der Namen eines legendären Apachen-Häuptlings, ist das Codewort für das Ende einer fast zehn Jahre langen Jagd. Das Ende? Wirklich? Seit US-Präsident Barack Obama der Welt mitgeteilt hat, dass bin Laden tot ist und seine Leiche ins Meer geworfen wurde, schießen Verschwörungstheorien ins Kraut. De Winter hat nun eine hinzugefügt - auf hohem literarischem Niveau.

Dabei bedient sich der Niederländer der Technik aller Verschwörungstheoretiker: Er stellt Fragen. Warum wurde Osama bin Laden, der Dinge wusste, die alle Geheimdienste interessierten, nicht lebend gefangen? Wie konnte dieser Mann im Schlaf überrascht werden, während halb Abbottabad vom US-Einsatz aufgeschreckt wurde?

Aus seinen Antworten macht Leon de Winter eine grandiose Geschichte über Mitmenschlichkeit in Zeiten des Terrors, über die Kraft der Musik und über Männer, die tun, was Männer tun müssen. Das Geflecht, das aus dem Faden entsteht, den de Winter gekonnt spinnt, sei "ein Ding", geradezu "wahnwitzig", lässt der Autor einen seiner Protagonisten sagen. Einen anderen lässt er zu Protokoll geben: "Eine starke Geschichte, keine Frage, aber reine Fantasie." Eine dritte Figur auf de Winters Feld der Verschwörung kommt zu dem Schluss: Wenn in dieser Geschichte nur ein Körnchen Wahrheit stecke, dann sei sie "ein Gag erster Güte".

 Leon de Winter

Leon de Winter

Leon de Winter: Geronimo. Diogenes, 448 Seiten, 24 Euro.

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