Büchner-Preis an Jan Wagner Lyrik, die „größte Freiheit auf engstem Raum“

Berlin · Jan Wagner erhält den Georg-Büchner-Preis. Der Lyriker, der 2016 die traditionelle Rede an saarländische Abiturienten hielt, zeigt sich „glücklich, verwirrt und sehr froh“.

Gestern, beim Poesiefestival in Berlin, wo sich jedes Jahr Lyriker aus aller Welt die Klinke in die Hand drücken: Jan Wagner soll um 10 Uhr vor Berliner Schülern lesen — um 9.30 Uhr erfährt er, dass ihm in diesem Jahr der Georg-Büchner-Preis zuerkannt wird, jährlich vergeben von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dotiert mit 50 000 Euro. Für die Schüler wird die begeistert aufgenommene Lesung zu einem besonderen Ereignis, die Lehrer sind beglückt, dass der Ausflug zum Großereignis geworden ist.

Blicke in sein Leben und in seine Schreibwerkstatt gewährt das jüngste Buch des 45-Jährigen, „Der verschlossene Raum“. Der Band versammelt 21 Reden, Essays, Vorträge und Aufsätze der vergangenen sechs Jahre und schließt damit an „Die Sandale des Propheten“ (2011) an. Poetologische Reflexionen über das Schreiben von Gedichten wechseln mit persönlichen Erlebnissen. Das ist nun nicht nur etwas für Literaturwissenschaftler: Dieser Band ist eine wahre Freude. Versteht es Wagner doch exzellent aus dem Nähkästlein zu plaudern und seine bedachten Thesen mit kleinen Anekdoten aufzuhübschen.

Als Junge in der Buchhandlung seiner Heimatstadt Ahrensburg entdeckte er früh, dass Bücher einen Ausgang aus der Realität bieten. Wenn der Buchhändler „durch Literaturschluchten eilte und kühn, von nichts als seinen Hosenträgern gesichert, schwindelerregende Regale erklomm“, während er den Kunden, die wieder mal nur drittklassige Krimis verlangten, Hemingway, Faulkner und Nossack ans Herz legte. Mit dem geschulten Blick des Dichters und der Liebe fürs Detail zeichnet er seine Bilder. Manchmal vielleicht ein bisschen altklug. Aber Wagner, der 2016 in Saarbrücken die traditionelle Rede an saarländische Abiturienten hielt, ist nun mal Dichter. Und ein Kenner der Szene sowieso, besonders englischsprachige Lyriker haben es ihm angetan: Chaucer, Shakespeare, Marlowe, Blake, Keats und Coleridge. Hopkins, Yeats, Eliot, Auden und immer wieder Dylan Thomas.

Nach den ersten Jahren in Hamburg ging Wagner als Student ans Trinity College in Dublin, wo der Dozent und Poet Brendan Kennelly am letzten Tag des Semesters seine Unterrichtsstunde ausfallen ließ und die Studenten mit den Worten „Get drunk“ in den Pub schickte. „Ich habe nie wieder so viel über Lyrik im Allgemeinen und die Gedichte Samuel Becketts im Besonderen gelernt wie in den folgenden vier Stunden“, erinnert sich Wagner. In Irland fing er auch an, Seamus Heaney zu schätzen, mit dem ihn die Auffassung verbindet, dass „keineswegs das Außergewöhnliche das Material für große Gedichte liefert“, sondern das, „was direkt vor der Nase liegt, zur von jeher vertrauten Umgebung gehört“. Gedichte böten die „größte Freiheit auf engstem Raum“, sagt Wagner. Es gehe ums Spielen, nicht ums Spielergebnis. Das kindliche „Staunenkönnen“ ist für ihn Grundlage jeglicher Poesie. Und wer das begriffen habe, dem eröffne sich eine neue Welt.

Jan Wagner: Der verschlossene Raum. Beiläufige Prosa. Hanser, 270 S., 22 Euro.

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