Rückschau auf die alte BRD Als Politik und Fernsehen noch schwarz-weiß waren

Früher war vermeintlich alles besser. Oder doch nicht? Beim Rückblick auf die 70er, 80er und 90er werden SZ-Redakteure „nostalgisch“. Heute geht‘s um die alte Bundesrepublik, die mit Helmut Kohls Tod endgültig Geschichte ist.

Lange ruhte es vergessen in der Bücherwand. Trotz rotem Rücken. Dabei war es mal mein Leib- und Magenbuch: „Birne“. Damals, 1983, bin ich sogar eigens zu Zweitausendundeins, um es sofort zu haben. Als das Unmögliche möglich wurde – und Helmut Kohl plötzlich Kanzler war. Da war Hans Traxlers und Peter Knorrs Spottkonvolut ein satirisches Antidot gegen den Oggersheimer. Dass der mal der ewige Kanzler sein würde, war nicht zu ahnen, nicht mal zu fürchten. Und dass man dem Kanzler der Einheit und dem unbedingten Europäer sogar mal sowas wie Respekt zollen würde, wäre damals einem Verrat an der eigenen Gesinnung gleichgekommen. Jetzt ist Helmut Kohl tot. Und mit ihm ist auch die alte Bundesrepublik endgültig passé. Genscher und Schmidt, andere Große dieser Zeit, sind schon gegangen. Franz-Josef Strauß lebt wenigstens noch als Kabarettzombie im bayrischen Fernsehen fort, die alten Sicherheiten aber sind nun für immer abgehakt. Damals wusste man genau, gegen wen man zu sein hatte. Natürlich war man gegen Kohl, lebte man nicht gerade auf dem Land, wo die Junge Union die einzige Form der Freizeitbeschäftigung darstellte.

Der gesamte winzige BRD-Kosmos war damals wohltuend überschau- und kalkulierbar. Eine Gewissheit, in die man sich förmlich einkuscheln konnte. Und hatte man noch keinen Farbfernseher, war die Politik im doppelten Sinne schwarz-weiß. In den Bonner Bundestagsdebatten, die gnadenlos über Stunden als Schichtarbeitereinschlafhilfe übertragen wurden, gifteten sich Redner nicht nur an, sie argumentierten auch überraschend oft trennscharf. Leicht ließen sich noch Unterschiede ausmachen. SPD oder CDU, das bedeutete, sich tatsächlich entscheiden müssen – und nicht mehr oder weniger dasselbe wählen. Und Kabarett hieß Abrechnung mit den Mächtigen und nicht einfach bloß ablachen. Die Welt war sortierbar in Ost und West, Freund und Feind. Man fand für sich selbst so auch leichter seinen Platz: durch Abgrenzung zur Selbstvergewisserung. Es gab zwar eine Erste Allgemeine Verunsicherung, aber keine internationale Ungewissheit.

 Politik in Schwarz-Weiß: Helmut Schmidt und Helmut Kohl im Oktober 1982 beim Stabwechsel im Kanzleramt.

Politik in Schwarz-Weiß: Helmut Schmidt und Helmut Kohl im Oktober 1982 beim Stabwechsel im Kanzleramt.

Foto: dpa/Foto: Sanden/dpa

Allerdings: Selbst wenn man zum Che-Guevara-Shirt sich den PLO-Feudel um den Hals wickelte, war man insgeheim doch froh, dass man diesseits der Mauer lebte. Man war halt Kind von Marx und von Coca Cola. Aber Kohl war ja auch ein deutscher Konservativer und ein europäischer Vorkämpfer zugleich. Im Nachhinein betrachtet, wenn man  klüger ist. Manchmal jedenfalls.

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