Erlösung eines Vortragsreisenden

Saarbrücken. Glaube ist bei Arnold Stadler ein anderes Wort für Kunst. In beidem schwingt eine Erlösungs-, Welt- und Jenseitssehnsucht mit, die nie einzulösen, sondern nur in glückenden Momenten als Begehren zu spüren ist. Stadlers Helden werden immer wieder an die Schwelle dieser Gefühlserfahrung geschwemmt. Arnold Stadlers neues Buch trägt keine Gattungsbezeichnung

Saarbrücken. Glaube ist bei Arnold Stadler ein anderes Wort für Kunst. In beidem schwingt eine Erlösungs-, Welt- und Jenseitssehnsucht mit, die nie einzulösen, sondern nur in glückenden Momenten als Begehren zu spüren ist. Stadlers Helden werden immer wieder an die Schwelle dieser Gefühlserfahrung geschwemmt. Arnold Stadlers neues Buch trägt keine Gattungsbezeichnung. Zunächst wähnt man sich in einem typischen Stadler-Roman; im zweiten Teil in einer Filmnacherzählung; dann in einer Predigt gegen das moderne Pharisäertum. Und schließlich in einem Essay über Caravaggio. Was diese Teile und Genres zusammenhält, sind zwei Fragen: Wie kann man als aufgeklärter Mensch Epiphanien des Glaubens erfahren? Und wie wäre die Sehnsucht nach diesem Glauben in Kunst zu übersetzen?

Zunächst lernen wir Salvatore kennen: Salvatore verdankt diesen verheißungsvollen Namen seinem italienischen Vater. Der ist irgendwann, aus den Höhlensiedlungen der Sassi di Matera stammend, ausgerechnet im ostfriesischen Leer in einer Pizzeria gelandet. Sein Sohn taugt allerdings nicht zum Pizzabäcker. Der deutsche Italiener Salvatore hat, als wir ihm begegnen, diverse Bruchlandungen bereits hinter sich. Nun tingelt er als Vortragsreisender durch die Provinz. An einem Himmelfahrtstag macht Salvatore sich nun in einer kleinen Kirche auf die Suche nach dem Verlorenen. Was er vorfindet, ist allerdings Langeweile und Profanation, nichts, das nur entfernt an das große "Andere" rühren könnte. Das tut allerdings ein Erlebnis am Nachmittag des selben Tages: Im Gemeindezentrum wird Pasolinis "1. Evangelium nach Matthäus" gezeigt. Und Salvatore hat so etwas wie eine Erleuchtung. Stadler überlässt seinen Helden dann einem unbekannten Schicksal, und wir geraten unversehens in den zweiten Teil des Buches, der weniger eine Interpretation als eine lange, bibelfeste Nacherzählung des Pasolini-Films liefert.

Heraus kommt eine Art Poetologie: Pasolini und Caravaggio sind für Stadler Gewährsleute. Sie, der eine ein atheistischer Kommunist, der andere ein genialer Maler und Mörder, kommen der Botschaft der Bibel am nächsten, näher jedenfalls als die Theologen: Sie transformieren das heilige Wort in eine Sehnsucht, die unbedarft und unkorrumpierbar ist.

Arnold Stadler: Salvatore. S. Fischer Verlag. Frankfurt am Main 2008. 224 Seiten. 17,90 Euro.

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