Wie schön ist doch der Liebestod

Wie Ihr erster Film "Persepolis" beruht "Huhn mit Pflaumen" auf einer Ihrer eigenen Comic-Vorlagen. Warum haben Sie diesen Film nicht auch als Zeichentrickfilm umgesetzt?Satrapi: Ich probiere immer wieder gern Neues aus

Wie Ihr erster Film "Persepolis" beruht "Huhn mit Pflaumen" auf einer Ihrer eigenen Comic-Vorlagen. Warum haben Sie diesen Film nicht auch als Zeichentrickfilm umgesetzt?Satrapi: Ich probiere immer wieder gern Neues aus. Bei "Persepolis" hatte ich mich für einen Animationsfilm entschieden, weil dies eine sehr spezifische, persönliche Geschichte war, die auf die Menschen in Europa zunächst etwas fremd wirkte. Die Abstraktion des Zeichentrickfilms hat es ermöglicht, diese Geschichte universeller verständlich zu machen. Das war bei "Huhn mit Pflaumen" nicht notwendig.

In "Persepolis" haben Sie Ihre eigene Kindheit und Jugend im Iran und im Exil aufgearbeitet. Gibt es auch in "Huhn mit Pflaumen" autobiografische Bezüge?

Satrapi: Ich habe eines Tages bei meiner Mutter ein Foto ihres Onkels entdeckt. Man erzählte mir, dass er ein großartiger Musiker war und dass die Menschen auf der Straße stehen geblieben sind, wenn er im Garten gespielt hat. Er hatte etwas ungeheuer Romantisch-Melancholisches in seinem Gesicht und wurde zur wichtigsten Inspiration für die Figur.

Warum haben Sie sich für die altmodisch anmutende Form des Melodrams entschieden?

Satrapi: Ich liebe Melodramen, weil man da so richtig dick auftragen kann. Wir leben in einer Welt, in der man immer gut gelaunt sein muss, aber wir haben auch ein Recht auf Melancholie. Dass man - wie die Hauptfigur in meinem Film - an der Liebe zu einer anderen Person sterben kann, ist für mich eine wunderschöne Vorstellung. Es gibt zwei Dinge, die im Kino sehr viel besser aussehen als im echten Leben: Das ist zum einen der Krieg, der in Wirklichkeit sehr viel scheußlicher ist als auf der Leinwand, und das ist die Liebe, die im Kino weniger lächerlich wirkt, als das im echten Leben der Fall ist.

Wozu die surreale Erzählweise?

Satrapi: Der Kern der Geschichte handelt von einem Mann, der deprimiert ist und sterben will, weil er alle Hoffnung und Freude am Leben verloren hat. Nichts aber ist langweiliger als ein deprimierter Mann. Deshalb mussten wir die Geschichte dieses Mannes aufregender gestalten. Außerdem gibt es immer Dinge, die wir nicht mit dem Verstand ergründen können. Diese magischen Momente sind für mich die interessanteren. Ich komme aus einer Kultur, in der es nicht ungewöhnlich ist, dass ein Mann, der wie ein Bettler aussieht, auf mich zukommt, meine Hand fasst und alles über mein Leben weiß. Das habe ich selbst erlebt. Im Westen würde ein Mann mit dieser Gabe als neuer David Copperfield im Fernsehen landen. Im Iran gehören solche Menschen zum Alltag.

Gehört zu dieser Magie auch der Todesengel, der in Ihrem Film ein humorvolles Wesen ist?

Satrapi: Nein, der Engel des Todes ist auch in der iranischen Kultur eine erschreckende Gestalt. Aber ich habe mir gesagt: Warum muss es immer dieser alte, hässliche Sensemann sein? Ein Todesengel kann doch auch mal ein netter Typ sein, der seine Arbeit macht und dabei ein gewisses Mitgefühl entwickelt. Ich wollte etwas Humor in das todernste Thema bringen, denn eigentlich ist der Tod ja eine absurde Angelegenheit, die überhaupt keinen Sinn macht. Wenn man mit 70 oder 80 endlich verstanden hat, worum es im Leben geht, holt einen der Tod. Das kann ich nicht akzeptieren.

Könnten Sie sich vorstellen, einen vollkommen realistischen Film zu drehen?

Satrapi: Im Kino will ich etwas Glamouröses und Schönes sehen. Das kann auch ein Film wie "Ein Mann ohne Vergangenheit" von Aki Kaurismäki sein, wo sich ein obdachloses Liebespaar mitten auf einer vermüllten Straße küsst und dabei aussieht wie Humphrey Bogart und Ingrid Bergman.

Was unterscheidet für Sie Comics und Filme als Kunstform?

Satrapi: Einen Comic zu schreiben und zu zeichnen ist die Arbeit eines Mönches. Man muss Bild für Bild immer wieder das Gleiche zeichnen. Aber das Schöne ist, dass man keine Geldgeber im Nacken hat. Selbst wenn man die beste japanische Tusche und das teuerste Papier verwendet, liegen die Produktionskosten für einen Comic bei maximal 300 Euro. Wenn man 50 Hubschrauber und 2000 Menschen für eine Szene braucht, zeichnet man eben 50 Hubschrauber und 2000 Menschen, und kein Produzent versucht einen davon abzuhalten. Filmemachen ist ein sehr komplizierter Prozess, bei dem viele reinreden. Aber gleichzeitig setzt die Arbeit am Set eine ungeheure Energie frei. Das ist, als würde man vier Monate in 30 Tagen leben.

Ab Donnerstag in der Saarbrücker Camera Zwo. Filmkritik morgen in unserer Beilage treff.region.

AUF EINEN BLICK

Sechs weitere Filme laufen morgen in den Kinos der Region an. Unsere Favoriten sind zwei Filme, in denen sich Menschen aus verschiedenen Ländern und sozialen Schichten schicksalhaft begegnen. In "Ziemlich beste Freunde" von Eric Toledano und Oliver Nakache, dem Kassenknüller aus Frankreich, sind das ein reicher Adliger und ein junger, farbiger Arbeitsloser. Ein Meisterwerk, das gekonnt Heiterkeit und Ernst verbindet (im Filmhaus und in der Camera Zwo Saarbrücken). In Letzterer läuft auch "Chinese zum Mitnehmen" von Sebastian Borensztein aus Argentinien. Hier treffen ein Eisenwarenhändler und ein junger Chinese aufeinander. Die Schlusswendung verleiht dem scheinbar leicht dahinplätschernden Film eine unerwartete Tiefe. tr

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