Lügen stehen uns ins Gesicht geschrieben

Hamburg · Gefühle wie Zorn, Angst, Überraschung oder Trauer zeigen sich bei allen Menschen weltweit in den gleichen Gesichtsausdrücken. Dieses Wissen nutzen Wissenschaftler, Manager, Juristen und auch Polizisten, um herauszufinden, wer die Unwahrheit sagt.

Ein kurzes Zucken der Mundwinkel, eine nach oben gezogene Augenbraue oder eine plötzlich veränderte Stimmlage reichen Dr. Cal Lightman aus, um festzustellen, ob ihm sein Gegenüber die Wahrheit sagt oder etwas verschweigt. Der vom Hollywood-Schauspieler Tim Roth verkörperte Psychologe besitzt in der Fernseh-Serie "Lie to me - lüg' mich an" die Fähigkeit, Gemütsbewegungen eines Menschen über Mimik, Gestik und Stimme lesen zu können und überführt so Verbrecher.

Als menschlicher Lügendetektor ist er auf der Jagd nach sogenannten Mikroausdrücken der Mimik, das sind höchstens eine Fünfzehntelsekunde lang anhaltenden Gesichtsausdrücke. Sie verraten, was in einem Menschen wirklich vorgeht. Die US-Krimiserie stützt sich auf Ergebnisse grundlegender wissenschaftlicher Arbeiten zur sogenannten nonverbalen Kommunikation des Menschen.

Der US-amerikanische Anthropologe und Psychologe Paul Ekman entdeckte in den 1960er Jahren, dass sich Gesichtsausdrücke bei Gefühlen wie Freude, Trauer , Ekel oder Angst bei allen Menschen gleichen. Alter, Bildung, Heimatort oder kulturelle Identität spielen keine Rolle, fand der heute 82-jährige Forscher heraus.

Auslöser für Ekmans Forschung war Charles Darwin. Der erklärte in seinem 1872 erschienenen Buch "Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren", dass sich Emotionen bei allen Menschen in der Mimik grundsätzlich gleich äußerten. Ekman versuchte Darwin zu widerlegen und trat 1967 mit dem Volk der Fore in Kontakt. Es lebt in Papua-Neuguinea, kam zuvor kaum mit anderen Menschen in Berührung und kannte dementsprechend keine Gesichtsausdrücke anderer Kulturen. Die Ergebnisse von Ekmans Untersuchungen waren eindeutig: Auch die Gesichtsregungen dieser Menschen entsprachen denen der Testpersonen in Amerika, Europa und Afrika. Das bedeutet, dass die sieben von Ekman als elementar beschriebene Gesichtsausdrücke für Angst, Ekel, Freude, Traurigkeit, Überraschung, Verachtung und Zorn offenbar nicht kulturell, sondern genetisch bedingt sind.

"Diese Grund-Emotionen sind in Gesprächen oft nur für einen Sekundenbruchteil zu erkennen", erklärt Holger Kunzmann. Der 42-jährige Pädagoge und ehemalige Bundeswehr-Offizier gibt als Trainer über die Hamburger Firma Triple A sein bei Paul Ekman erlerntes Wissen an Manager , Juristen und Sicherheitsfachleute weiter.

Die Teilnehmer seiner Seminare sollen in wenigen Tagen lernen, Gesichtsausdrücke zu interpretieren, unterdrückte Emotionen zu erkennen und Körpersprache richtig zu deuten. Ihr Ziel: Menschen etwa bei Sicherheitsüberprüfungen oder Vertragsverhandlungen besser einschätzen zu können.

Grundlage für jedes Training ist das von Paul Ekman mitentwickelte Facial Action Coding-System (Facs), eine Art Atlas der menschlichen Mimik, in dem über 40 Gesichtsbewegungen wie das Zusammenziehen der Augenbrauen oder das Öffnen der Lippen detailliert beschrieben werden. Je nachdem, welcher der 26 Gesichtsmuskeln gerade in Bewegung ist, kann ein geschulter Gesprächsteilnehmer erkennen, ob die gezeigte Freude echt ist oder nur vorgetäuscht wird. "Dabei versuchen wir nicht die Lüge, sondern die Wahrheit zu erkennen", betont Kunzmann. "Sich etwas auszudenken, was nicht passiert ist, ist schwer. Dazu kommt noch die Angst, entdeckt zu werden." Die Mikromimik könne willentlich nur schwer unterdrückt werden, weiß Kunzmann. "Trotzdem können wir nie zu 100 Prozent sagen, ob jemand gelogen hat."

So könne Nervosität unterschiedliche Gründe haben. "Die Angst entdeckt zu werden sieht genauso aus, wie die Angst davor, ungerechtfertigt beschuldigt zu werden", sagt der Gefühlsprofi. Deshalb dürfe sich niemand in seinem Urteil nur auf die Analyse des Gesichtsausdrucks verlassen. Körpersprache, Sprachstil und der Klang der Stimme spielten eine mindestens ebenso große Rolle. Wenn alle diese Signale dem üblichen Verhalten des Gesprächspartners entsprechen, sage er höchstwahrscheinlich die Wahrheit. Gebe es Abweichungen, gelte es aufmerksam hinzuschauen.

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