Wissenschaft Fitness-Pillen aus Darmbakterien

Wissenschaftler wollen Mikroorganismen aus dem Stuhl von Spitzensportlern auch für Medikamente verwenden.

 Forscher der amerikanischen Harvard-Universität haben zahlreiche Stuhlproben von Spitzenläufern beim Boston-Marathon eingesammelt. Es stellte sich heraus, dass sich bei anstrengender sportlicher Betätigung im Darm Bakterien vermehrt ansiedeln, die dem Körper zusätzliche Energie zur Verfügung stellen.

Forscher der amerikanischen Harvard-Universität haben zahlreiche Stuhlproben von Spitzenläufern beim Boston-Marathon eingesammelt. Es stellte sich heraus, dass sich bei anstrengender sportlicher Betätigung im Darm Bakterien vermehrt ansiedeln, die dem Körper zusätzliche Energie zur Verfügung stellen.

Foto: dpa-tmn/Robert Günther

Die schätzungsweise 100 Billionen winzigen Mikroorganismen in unserem Darm, darunter Bakterien, Viren, Archaeen und Pilze, haben großen Einfluss auf unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Die Gemeinschaft dieser Mikroben wird auch Mikrobiom genannt. Die Mehrheit der Mikroorganismen ist daran beteiligt, die aufgenommene Nahrung aufzuspalten und unserem Körper lebenswichtige Nährstoffe verfügbar zu machen. Ob sich hilfreiche Bakterien im Darm ansiedeln, hängt auch von unserer Ernährung ab. Neuere Forschungen zeigen, dass auch Sport die Zusammensetzung unserer Darmbakterien beeinflusst. Ungesunde Ernährung und Bewegungsmangel haben zur Folge, dass sich „schlechte“ Bakterien im Darm breitmachen. Sie befördern Übergewicht und Stoffwechsel-Erkrankungen.

Stuhltransplantation Klinische Studien haben bereits gezeigt, dass Menschen mit Darmproblemen und -erkrankungen geheilt werden können, wenn ihnen Fäkalien gesunder Menschen in den Darm transplantiert werden. Die zugeführten gesunden Darmbakterien verdrängen die schlechten Mikroorganismen. Allerdings wird auch immer wieder berichtet, dass Stuhltransplantationen nicht den erhofften Erfolg haben. Hier muss noch viel geforscht werden.

Dr. Jonathan Scheiman von der Harvard-Universität in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts arbeitet indes daran, die besten menschlichen Darmbakterien gezielt auszuwählen und zu züchten, um sie als Arznei und als Nahrungsergänzungsmittel einzusetzen. Dabei stellt Scheiman hohe Ansprüche, denn er sammelt Stuhlproben von Spitzensportlern.

Der Wissenschaftler, der seine bisherigen Erkenntnisse im Februar auf dem Weltkongress für Mikrobiom-Forschung in Barcelona vorgestellt hat, will herausfinden, ob überragende sportliche Leistungen auch mit einem besonderen Mikrobiom zusammenhängen. Das ist ein interessanter Ansatz, weil sportliche Ausnahmeleistungen bislang zu einem guten Teil dem Erbgut zugeschrieben werden. Scheiman glaubt jedoch, dass neben einer genetischen Veranlagung auch die Darmbakterien bei sportlichen Höchstleistungen ein Wörtchen mitzureden haben.

„Wir wissen ja schon, dass die Darmbakterien Einfluss auf unseren Stoffwechsel und unser Immunsystem nehmen“, sagt Scheiman. „Ich glaube, dass auch das Mikrobiom beeinflusst, wie viel Ausdauer und Kraft ein Mensch hat und wie schnell er sich nach körperlichen Strapazen erholt.“

Weil immer mehr Wissenschaftler über das Mikrobiom und Stuhltransplantationen forschen, hat der Biologe Professor Dr. Ron Milo vom israelischen Weizmann-Institut für Wissenschaften die Zusammensetzung menschlicher Exkremente untersucht: Die Trockenmasse des Kots besteht zu 50 bis 60 Prozent aus ausgeschiedenen Darmbakterien. Den Forschern fällt es daher leicht, die verschiedenen Bakterienstämme, die im Darm der Menschen siedeln, zu identifizieren.

Laktat wird abgebaut Jonathan Scheiman konnte bereits eine Reihe von amerikanischen Langstreckenläufern und Ruderern der Weltklasse dafür gewinnen, ihm regelmäßig Stuhlproben zu liefern – während der Trainingsphasen, vor und nach Wettkämpfen. So ist es ihm gelungen, bei jedem Athleten seines Forschungsprojekts über eine längere Zeit hinweg das individuelle Mikrobiom zu untersuchen.

Als Scheiman die Darmbakterien von 20 erstklassigen Teilnehmern des Boston-Marathons analysierte, wiesen die Proben, die er vor und nach dem Wettbewerb erhalten hatte, deutliche Unterschiede auf. „In den Stuhlproben, die wir nach dem Marathon gesammelt hatten, fanden wir vermehrt Bakterien, die Laktat abbauen.“

Bei körperlicher Aktivität steigt der Energieverbrauch der Muskelzellen. Zunächst verbrennen die Zellen den Treibstoff Zucker (Glukose) mithilfe von Sauerstoff. Bei steigender Belastung kann auf diesem Weg die benötigte Energie nicht mehr schnell genug zur Verfügung gestellt werden. Daher steigen die Muskelzellen auf ein schnelleres System zur Energieproduktion um. Sie verbrennen die Glukose ohne Zufuhr von Sauerstoff. Die Glukose wird dabei zu Laktat umgewandelt. Auch Laktat ist ein energiereicher Treibstoff. Es ist keinesfalls ein problematisches Abfallprodukt des Stoffwechsels, wie viele immer noch meinen. Bei steigender Laktatkonzentration im Blut deckt beispielsweise auch das Herz seinen Energiebedarf zu 60 Prozent mit Laktat.

Scheimans Forschung hat gezeigt, dass das Mikrobiom sehr schnell auf sportliche Höchstleistung und vermehrte Laktatbildung reagiert. „Die Zunahme spezieller Bakterien im Darm hilft wahrscheinlich, überschüssiges Laktat abzubauen“, sagt der Forscher. „Ich vermute, dass Sportler, die mehr solcher Bakterien im Darm haben, sich schneller erholen.“

Vergleich zwischen Sportarten Inzwischen hat es Jonathan Scheiman geschafft, die Laktat-abbauenden Bakterien aus dem Stuhl herauszufiltern. Im Labor leisten diese Mikroorganismen im Reagenzglas bereits ganze Arbeit. Wie erhofft bauen sie zugesetztes Laktat ab. Derzeit experimentiert Scheiman auch mit Mäusen, denen er die speziellen Bakterien verabreicht, um herauszufinden, ob die Tiere nach anstrengender körperlicher Betätigung damit tatsächlich schneller Laktat abbauen, weniger ermüden und sich fixer erholen.

In einer weiteren Untersuchung haben Scheiman und sein Team die Darmbakterien von Ultramarathon-Läufern mit denen von Olympia-Ruderern verglichen. Bei den Extremläufern, nicht aber bei den Ruderern fanden die Forscher Bakterien, die besonders effektiv Kohlenhydrate und Ballaststoffe verwerten und dem Körper als Energie zur Verfügung stellen können. „Wenn man 100 Meilen am Stück läuft, benötigt man möglicherweise ein Mikrobiom, das die Energie sehr effizient aus der Nahrung herauszieht“, sagt Scheiman. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich bei verschiedenen Sportarten unterschiedliche Mikrobiome bilden können.“

Jonathan Scheiman will nach und nach die Darmbakterien, die er bei Spitzensportlern gefunden hat, mit Bakterien vergleichen, die von Nicht-Athleten stammen. „Ich will sehen, wo die Unterschiede und Besonderheiten liegen.“ Ein erstes Ergebnis liegt schon vor. Bei Nicht-Sportlern wurden keine Darmbakterien gefunden, die Laktat abbauen. Bei guten Marathonläufern lassen sich solche Bakterien jedoch in großer Zahl nachweisen. „Sportler, die bestimmte Bakterien im Darm haben, erholen sich schneller.”

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