Wie eine Frau auf dem Papststuhl

Rom. Eine schöne Angewohnheit musste Michael Phelps sausen lassen, seit die Konkurrenz in ihren High-Tech-Badeanzügen außer Rand und Band geraten ist. Sein Problem bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Rom beschrieb der 14-malige Olympiasieger gestern nach seinem Vorlauf über 200 Meter Freistil so: "Die Jungs schwimmen hier schon am Morgen so schnell, darauf muss ich mich einstellen

Rom. Eine schöne Angewohnheit musste Michael Phelps sausen lassen, seit die Konkurrenz in ihren High-Tech-Badeanzügen außer Rand und Band geraten ist. Sein Problem bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Rom beschrieb der 14-malige Olympiasieger gestern nach seinem Vorlauf über 200 Meter Freistil so: "Die Jungs schwimmen hier schon am Morgen so schnell, darauf muss ich mich einstellen." Der lockere Aufgalopp zu den Finals fällt also für den Amerikaner flach.

Paul Biedermann, erstaunlichste Erscheinung unter all den entfesselten Bahnenziehern, konnte der Superstar gestern beäugen. Nachdem der Hallenser am vergangenen Sonntagabend den Fabel-Weltrekord des australischen Idols Ian Thorpe über 400 Meter Freistil knackte, sprang er wieder ins Becken - in seiner Paradedisziplin 200 Meter Freistil. Im Halbfinale verbesserte er seinen Europarekord um 1,08 Sekunden auf 1:43,65 Minuten. Biedermann geht heute als Vorlaufbester ins Finale (18.02 Uhr, ARD und Eurosport). Der Deutsche war 1,68 Sekunden schneller als Titelverteidiger Phelps. Der war nach dem Vorlauf noch mit dem Biedermann-Blitz aus heiterstem Himmel über 400 Meter beschäftigt. "Ich kann es noch nicht fassen, dass die Zeit von Thorpe ausgelöscht ist. Das war der beste Weltrekord von allen. Es ist einfach verrückt, die Marke fallen zu sehen", schüttelte der Alleskönner im Becken das Haupt. Er tritt in einem Schwimmanzug von Speedo an, der 2008 all jenen die Knie schlottern ließ, die ihn nicht trugen. In der rasenden Welt kunststoffbeschichteter Superanzüge gilt der Anzug inzwischen als Antiquität, während Biedermann dank Arena nun das Beste vom Besten hat.

Reden möchte Phelps über solche Dinge nicht. Biedermann räumte, als plage ihn das schlechte Gewissen, nach seinem wundersamen Rennen am Sonntag ein, dass er sich Fragen werde gefallen lassen müssen. Fragen zu seinem Leistungssprung von sechseinhalb Sekunden über 400 Meter Freistil in einem Monat, der mit seiner Berufsbekleidung allein nicht zu erklären ist. Zumal sich der Praktikant der Halleschen Wasserwerke Anfang 2009 ein Virus eingefangen hatte und fünf Wochen nicht ins Wasser konnte.

300 Trainingskilometer fehlten ihm dadurch, das sei nicht aufzuholen, sagte sein Trainer Frank Embacher kürzlich. Jetzt hat sein Schüler Thorpes Fabel-Rekord getilgt - auf seiner Nebenstrecke. Über 200 Meter Freistil kratzt er, vor einem Jahr unvorstellbar wie eine Frau auf dem Papststuhl, sogar an Phelps' Thron. Auch wenn Biedermann das Duell beim Gedanken an den Siegesrausch des Konkurrenten in Peking ehrfurchtsvoll einschätzte: "Wenn ich acht Mal olympisches Gold gewonnen hätte, würde mich gar nichts mehr erschrecken."

Zunehmend in Betracht zu ziehen ist dafür der Schrecken, den Meldungen über Doping bei deutschen Sportlern auslösen würden. Nicht nur Biedermann brilliert neuerdings mit unglaublichen Zeiten. Britta Steffen schwingt sich seit Juni im neuen Adidas-Dress von Weltrekord zu Weltrekord. Die Bestmarke über 100 Meter Freistil hat die Olympiasiegerin, die Doping als unvereinbar mit ihrer Moral bezeichnet, am Sonntag als Staffel-Startschwimmerin zum dritten Mal binnen eines Monats pulverisiert. Biedermann sagte nach seinem Titelgewinn über 400 Meter: "Ich bin sauber. 2009 hatte ich um die 20 Doping-Kontrollen." Er und Steffen sind nicht allein auf weiter Flur: Der erste Finaltag brachte sechs Rekorde - nicht nur von Stars, sondern auch von Überraschungsrekordlern wie Sarah Sjöström (15/Schweden) oder Ariana Kukors (20/USA).

Auf einen Blick

Hendrik Feldwehr aus Essen hat bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Rom gestern über 100 Meter Brust Platz sieben belegt. Der 22-Jährige benötigte für die Strecke 59,33 Sekunden. Weltmeister mit Weltrekord wurde der Australier Brenton Rickard in 58,58 Sekunden. Er verbesserte den Rekord von Kosuke Kitajima (Japan) um 33/100 Sekunden. Mit Europarekord von 58,64 Sekunden wurde der Franzose Hugues Duboscq Zweiter vor dem Südafrikaner Cameron van der Burgh (58,95).

Die 15-jährige Schwedin Sarah Sjöström hat mit ihrem zweiten Weltrekord in Rom den Titel über 100 Meter Schmetterling geholt. Sie verbesserte ihre im Halbfinale aufgestellte Bestmarke um 38/100 Sekunden auf 56,06 Sekunden. Jessicah Schipper aus Australien wurde in 56,23 Zweite vor der Chinesin Jiao Liuyang (56,86). Deutsche Teilnehmerinnen waren im Finale nicht am Start. Annika Melhorn aus Baunatal war trotz deutschen Rekords im Halbfinale ausgeschieden.

Die Amerikanerin Ariana Kukors ist in Weltrekordzeit zum Titel über 200 Meter Lagen geschwommen. In 2:06,15 Minuten verbesserte sie gestern ihre eigene Bestzeit aus dem Halbfinale (2:07,03). Es war der insgesamt elfte Weltrekord der Titelkämpfe in Rom. Zweite über 200 Meter Lagen wurde Stephanie Rice aus

Australien (2:07,03) vor der Ungarin Katinka Hosszu (2:07,46). Deutsche Schwimmerinnen waren nicht am Start.

Über 50 Meter Schmetterling wurde der Serbe Milorad Cavic in 22,67 Sekunden Weltmeister. Zweiter wurde der Australier Matthew Targett (22,73) vor Weltrekordler Rafael Munoz aus Spanien, der in 22,88 fast eine halbe Sekunde über seiner Bestzeit blieb. Deutsche Teilnehmer waren nicht am Start. dpa

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