Im Dienst der Versöhnung zwischen Ost und West

Saarbrücken. Es war ein Novum: Zum ersten Mal traten bei der WM 1991 in Tokio die deutschen Leichtathleten als gesamtdeutsche Mannschaft an. Noch im Jahr zuvor waren sie bei den Europameisterschaften in Split Konkurrenten gewesen. Jetzt kämpften sie unter einer Flagge gemeinsam um Medaillen und Bestleistungen

Saarbrücken. Es war ein Novum: Zum ersten Mal traten bei der WM 1991 in Tokio die deutschen Leichtathleten als gesamtdeutsche Mannschaft an. Noch im Jahr zuvor waren sie bei den Europameisterschaften in Split Konkurrenten gewesen. Jetzt kämpften sie unter einer Flagge gemeinsam um Medaillen und Bestleistungen. Doch Misstrauen und Rivalitätsdenken, über viele Jahrzehnte eifrig kultiviert, konnten nicht von heute auf morgen abgestellt werden. Es galt, Brücken zu bauen. "Es war eine schwere Situation, auch für mich", erzählt Professor Wilfried Kindermann (Foto: SZ), der zwischen 1989 und 1996 deutscher Mannschaftsarzt war. "Da gab es natürlich noch einige Berührungsängste. Viele Athleten aus der früheren DDR kannte ich noch nicht. Ich musste erst eine Vertrauensbasis schaffen."

Neben der sportlichen Versöhnung zwischen Ost und West gehörte vor allem das drückende Klima in Tokio zu Kindermanns größten Herausforderungen. "Es war sehr heiß und schwül. Deshalb hatte ich eine ganze Reihe von Infekten und Magen-Darm-Beschwerden zu behandeln", sagt der 68-Jährige. Vor allem die Ausdauersportler habe es hart getroffen. "Beim Marathon der Männer ist damals jeder Zweite ausgeschieden, vor allem weil sie nicht genügend oder zu kalte Getränke bekommen haben. Ich erinnere mich noch, dass ich selbst losgezogen bin, um im Supermarkt für unsere Sportler Mineralwasser zu kaufen."

Doch Kindermann ist nicht nur Arzt. Er war früher auch selbst Leichtathlet und schnell auf den Beinen. Bei der EM 1962 in Belgrad gewann er mit der 4x400-Meter-Staffel des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) Gold. Wenn er also die Sportler bei ihren Wettkämpfen im Stadion oder auf dem Einlaufplatz betreute, dann schlug in seiner Brust neben dem Herz des Mediziners auch das des Leichtathletik-Fans. Dann beobachtete auch er bewundernd Superstar Carl Lewis, der in 9,86 Sekunden einen neuen Weltrekord über 100 Meter lief. "Er war unglaublich locker, aber das zeichnete die Amerikaner allgemein aus", erinnert sich Kindermann.

Unvergessen auch der Weitsprung. Carl Lewis legte eine unglaubliche Serie mit vier Sprüngen zwischen 8,83 und 8,91 Metern hin, holte aber dennoch nur Silber, da Mike Powell mit 8,95 Metern einen Weltrekord aufstellte, der bis heute Bestand hat. "Damals wusste man, dass es so einen Wettkampf vielleicht nie wieder geben würde", sagt Kindermann.

Bei aller Begeisterung gibt er aber auch zu bedenken: "Solche Leistungen lösten immer die Frage aus, ob das alles fair abgelaufen ist." So wurde auch die deutsche Vorzeigesportlerin der WM 1991 später mit Doping erwischt. Katrin Krabbe gewann in Tokio Gold über 100 und 200 Meter und jeweils Bronze mit der 4x100- und der 4x400-Meter-Staffel. Im Sommer 1992 wurde ihr nach einer Urinprobe die Einnahme des muskelfördernden Wirkstoffs Clenbuterol nachgewiesen. Der DLV verhängte eine einjährige Sperre, die der Weltverband IAAF um zwei Jahre verlängerte. Ein Comeback-Versuch Krabbes 1995 scheiterte. "Der Dopingfall Katrin Krabbe ist mir damals sehr nahe gegangen", sagt Kindermann, der seit Jahren in verschiedenen Anti-Doping-Gremien engagiert ist. "Es trifft einen immer besonders, wenn man die Athleten persönlich kennt."

Auf einen Blick

WM 1991 in Tokio:

Saarländische Teilnehmer: Keine.

Deutsche Medaillen:

Gold: Lars Riedel (Diskuswerfen), Katrin Krabbe (100 Meter), Katrin Krabbe (200 Meter), Heike Henkel (Hochsprung), Sabine Braun (Siebenkampf).

Silber: Grit Breuer (400 Meter), Heike Drechsler (Weitsprung), Ilke Wyludda (Diskuswerfen), Petra Meier-Felke (Speerwerfen).

Bronze: Hauke Fuhlbrügge (1500 Meter), Hartwig Gauder (50 Kilometer Gehen), Heinz Weis (Hammerwerfen), Christian Schenk (Zehnkampf), Grit Breuer, Katrin Krabbe, Sabine Richter, Heike Drechsler (4x100 Meter), Uta Rohländer, Katrin Krabbe, Christine Wachtel, Grit Breuer (4x400 Meter), Kathrin Dörre-Heinig (Marathon), Silke Renk (Speerwerfen).

Medaillenspiegel: 1. USA (10 Gold/8 Silber/8 Bronze), 2. Sowjetunion, (9/9/10), 3. Deutschland (5/4/8).

Weltrekorde: 100 Meter Männer, Carl Lewis (USA) in 9,86 Sekunden, Weitsprung Männer, Mike Powell (USA) mit 8,95 Metern, 4x100 Meter Männer, Andre Cason, Leroy Burrell, Dennis Mitchell, Carl Lewis (USA) in 37,50 Sekunden. mast

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