Zweites EM-Halbfinale in London Wahrt sich England die größte Titel-Chance seit 55 Jahren oder schafft Dänemark das zweite EM-Wunder?

London · Heute Abend wird der zweite EM-Finalist und Gegner von Italien gesucht: England will dabei seine historische Titelchance auf dem Rasen von Wembley nutzen. Auf diesem Weg stehen ihnen nur noch die unbequemen Dänen im Weg, die bei dieser EM eine emotionale Reise hinter sich haben.

 Die dänische Nationalmannschaft bereitet sich auf das EM-Halbfinale heute Abend gegen England vor – und hat beste Laune vor der Partie im Londoner Wembley-Stadion.

Die dänische Nationalmannschaft bereitet sich auf das EM-Halbfinale heute Abend gegen England vor – und hat beste Laune vor der Partie im Londoner Wembley-Stadion.

Foto: dpa/Thanassis Stavrakis

Angetrieben von der Energie der rund 60 000 Fans will England im Fußball-Tempel Wembley die nächste Mega-Party feiern, die emotionsgeladenen Dänen wären nichts lieber als die Spaßverderber.

Im zweiten Halbfinale der Europameisterschaft treffen am heutigen Mittwoch (21 Uhr/ZDF und Magenta TV) in London zwei Welten aufeinander. Ein Aus auf dem heiligen Rasen für die bislang so kühl und souverän auftretenden Engländer würde eine ganze Nation aus ihren Träumen reißen. Die leidenschaftlichen und von Millionen bewunderten Dänen können dagegen längst nichts mehr verlieren. Nun wollen sie den Engländern die wohl größte Titelchance seit 55 Jahren nehmen.

Denn so nah waren die Three Lions tatsächlich lange nicht mehr am EM-Titel dran. „Für mich und einige der anderen erfahrenen Spieler ist das die letzte Gelegenheit, bei einem großen Turnier in Wembley zu spielen. Was für eine Möglichkeit. Was für ein Moment das sein wird“, schwärmte Englands Kapitän Harry Kane. Eine ganze Nation träumt vom ersten Einzug in das Endspiel eines großen Turniers seit der WM 1966.

„Haben bei diesem Turnier Grenzen überschritten“

„Wir haben bei diesem Turnier Grenzen überschritten, und wir haben morgen eine weitere Gelegenheit dazu, weil wir noch nie in einem EM-Finale waren. Wir könnten also die Ersten sein, was sehr aufregend ist“, sagte Englands Coach Gareth Southgate einen Tag vor der Partie. Nur Dänemark kann jetzt dafür sorgen, dass die bislang so euphorische Stimmung an nur einem Abend kippt. „Die Motivation für uns ist, dass wir die Zuschauer zum Schweigen bringen“, sagte Trainer Kasper Hjulmand.

England gegen Dänemark, es ist ein Duell der Gegensätze. Während die Mannschaft von England-Coach Gareth Southgate von Anfang an zu den Favoriten auf den EM-Titel zählte, erlebten die Dänen eine einmalige und hochdramatische Reise durch dieses Turnier. Kein Team hatte einen längeren Weg in die Runde der besten vier Teams.

Eriksen-Drama zu Beginn, nun Halbfinale

Wie war nach dem Zusammenbruch von Christian Eriksen im ersten Spiel überhaupt daran zu denken? Die Szenen, wie der Spielmacher auf dem Platz wiederbelebt werden musste, gingen um die Welt. Die Belastung für die Spieler in diesen Minuten ist kaum vorstellbar.

Der Coach will aus dem Eriksen-Drama nun sogar Kraft für das Duell mit den favorisierten Engländern ziehen. „In der Sekunde, als die Zeit still stand und wir sehr verletzlich waren, als wir sahen, wie zerbrechlich das Leben ist – das könnte uns helfen, im Jetzt zu sein und es zu genießen“, sagte der frühere Coach des FSV Mainz 05. „Die Liebe der dänischen Menschen hat uns geholfen.“ Vielleicht eine zusätzliche Motivation: Am Dienstag bestätigte die UEFA, Eriksen und dessen Frau zum Finale eingeladen zu haben. Eine Antwort steht noch aus.

Kaum dänische Fans in Wembley

Im Halbfinale werden die Dänen die Unterstützung ihrer Landsleute kaum spüren. Nach derzeitigem Stand können nur im Vereinigten Königreich lebende Dänen Karten erwerben, 5000 Tickets sollen diese erhalten. Sie werden der Lautstärke und dem Enthusiasmus der England-Fans so hoffnungslos unterlegen sein. Eine riesige Mehrheit der rund 60 000 Zuschauer wird die Three Lions nach vorne brüllen – aber nur so lange es nach ihrer Zufriedenheit läuft. Dass die Engländer bislang kein Gegentor hinnehmen mussten und nun wieder zuhause spielen dürfen, lässt die Erwartungen steigen. Für die Gastgeber zählt nur das Finale. Alles andere wäre eine Enttäuschung. „Die Möglichkeit, unseren Fans und unserer Nation Glück und großartige Nächte zu bescheren, ist eine ganz besondere“, sagte Southgate. Es liegt an den Dänen, den Wembley-Stecker mit einem maximal unbequemen Auftritt zu ziehen.

Und die Engländer wissen um die emotionale Kraft der Dänen, denen sie zumindest vor dem Anpfiff noch ein Geschenk überreichen wollen. Die Mannschaft hat ein Trikot mit der Nummer zehn und dem Namen von Christian Eriksen unterschrieben, Harry Kane will es kurz vor Spielbeginn Dänemarks Kapitän Simon Kjaer überreichen. Es soll das einzige Geschenk im Rahmen dieses Spiels bleiben. Denn England hat die Erwartungen seiner Landsleute zu erfüllen. Und Dänemark will noch ein bisschen seinen Traum leben.

Starker Anstieg bei Corona-Fällen mit Verbindung zur EM

Vor den Finaltagen der Fußball-Europameisterschaft hat die europäische Gesundheitsbehörde ECDC derweil einen erheblichen Anstieg der Corona-Infektionen im Zusammenhang mit der EM festgestellt. Bis zum Ende der dritten Turnierwoche habe es mehr als 2500 Fälle in sieben Ländern gegeben, die sich mit der EM in Verbindung bringen ließen, bestätigte die EU-Agentur auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Bei den in Zusammenhang mit der EM bisher registrierten Infektionen ist Schottland nach Angaben des ECDC mit 1991 Fällen am weitaus stärksten betroffen. Die schottische Mannschaft trug ihre EM-Gruppenspiele in Glasgow und im Londoner Wembley-Stadion aus. In Großbritannien breitet sich die als ansteckender geltende Delta-Variante des Virus stark aus. ECDC-Direktorin Lefevre wies darauf hin, dass die Delta-Variante noch nicht „auf der Bildfläche“ gewesen sei, als die Planungen für die EM-Spiele mit Zehntausenden Zuschauern festgezurrt worden waren.

In Finnland seien in Verbindung mit dem Fußballturnier zuletzt 436 Fälle registriert worden, vor allem nachdem Finnlands Team in St. Petersburg spielte und Fans offensichtlich das Virus aus Russland mitbrachten. Einige Fälle wurden auch aus Dänemark, Frankreich, Schweden, Kroatien und den Niederlanden gemeldet. In Deutschland sind demnach keine Corona-Infektionen direkt im EM-Zusammenhang festgestellt worden.

Nicht sicher ist, wo sich die betroffenen Fans angesteckt haben. Dies könne sowohl in Stadien als auch in Fanzonen, bei der Reise wie auch bei privaten Treffen im Umfeld der Spiele passiert sein, erklärten die ECDC-Experten. Durch das Reisen von Fans zu EM-Spielen in Länder mit höheren Infektionszahlen könnten die Rückkehrer die Verbreitung des Virus in ihrer Heimat beschleunigen, warnte die Behörde erneut.

Für das ECDC prüfen täglich mindestens zwei Experten das Infektionsgeschehen rund um die Fußball-EM. Die Untersuchungen begannen eine Woche vor Turnierbeginn und enden eine Woche nach dem Endspiel an diesem Sonntag.

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