Gesundheit Sind Zahnspangen Geldverschwendung?

Berlin · Der Bundesrechnungshof stellt den Nutzen in Frage. Gesundheitsministerium und Krankenkassen widersprechen.

 Nach dem Gesetz haben minderjährige Kassenpatienten Anspruch auf eine Zahnspange, wenn eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beinträchtigen droht.

Nach dem Gesetz haben minderjährige Kassenpatienten Anspruch auf eine Zahnspange, wenn eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beinträchtigen droht.

Foto: dpa/Stephanie Pilick

Sie ist gewiss kein Teenager-Traum, eher ein Teenager-Trauma: die Zahnspange. Eltern sehen in ihr meist eine notwendige Investition in die Zahngesundheit, aber auch in eine optisch ansprechende Zukunft für ihre Sprößlinge. Doch ist die Prozedur wirklich nötig? Der Bundesrechnungshof zumindest hat erhebliche Zweifel an der Notwendigkeit vieler Behandlungen.

Gut eine Milliarde Euro geben die Kassen pro Jahr für kieferorthopädische Behandlungen aus. Ist da Geldverschwendung im Spiel? Der Bundesrechnungshof hegt offenbar genau diesen Verdacht. „In anderen Leistungsbereichen der gesetzlichen Krankenversicherung muss der Nutzen einer Therapie wissenschaftlich bestätigt sein“, wurde Rechnungshof-Präsident Kay Scheller am Montag in Medienberichten zitiert. Bei kieferorthopädischen Behandlungen hätten die Kassen und das Bundesgesundheitsministerium aber keine entsprechend fundierten Erkenntnisse, monierte Scheller.

Schaut man sich die Ausgaben der Kassen genauer an, ergibt sich ein differenziertes Bild. Zwar lagen die Kosten für kieferorthopädische Behandlungen im Jahr 2015 mit 1,02 Milliarden Euro auf fast dem gleichen Niveau wie im Jahr 2001. Die Zahl der jährlichen Fälle hat sich in diesem Zeitraum aber auf rund 618 000 glatt halbiert. Das bedeutet im Umkehrschluss: Für einen Behandlungsfall müssen die Kassen heute im Schnitt doppelt so viel Geld ausgeben wie noch zur Jahrtausendwende. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) führt diese Entwicklung auf allgemeine Kostensteigerungen sowie auf schwierigere Fälle zurück, die aufwendiger und teurer seien.

Nach dem Gesetz haben minderjährige Kassenpatienten Anspruch auf eine Zahnspange, wenn eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beinträchtigen droht. Um das Ausmaß der Behandlungsbedürftigkeit besser zu erfassen, wurden im Jahr 2002 fünf Bedarfsgrade eingeführt. Mittels dieses Systems ist nach Auskunft des Gesundheitsministeriums eine „objektive Aussage“ möglich, ob die Kassen für eine Zahnspange am Ende aufkommen oder nicht. Auch beim GKV-Spitzenverband kann man die Vorwürfe des Bundesrechnungshofs deshalb nicht nachvollziehen. „Die Kostenübernahme durch die Kassen erfolgt nur ab dem Behandlungsbedarfsgrad drei und nur bei Patienten zwischen zehn und 18 Jahren zu einhundert Prozent“, stellte eine Sprecherin auf Anfrage klar.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach teilt dagegen die Kritik der Rechnungsprüfer. „Das Grundproblem ist, dass die Krankenkassen zu viel Geld für junge und gesunde Mitglieder ausgeben und tendenziell zu wenig für chronisch kranke ältere Menschen.“ Die Zahnspangen seien dafür ein klassisches Beispiel, so Lauterbach gegenüber unserer Redaktion. „Es gibt keine Studien, die außer bei starken Fehlstellungen zeigen, dass Zahnspangen sich medizinisch positiv auswirken.“ Trotzdem werde hier durch die Krankenkassen großzügiger verfahren, um gut verdienende Eltern und später auch deren arbeitende Kinder an sich zu binden, als bei älteren Menschen mit Gebiss-Problemen. „Ein schlechtes Gebiss bei Senioren erhöht aber sogar die Wahrscheinlichkeit von Demenz, wie wissenschaftliche Untersuchungen belegen“, erklärte Lauterbach. 

Das Gesundheitsministerium indes will an den Leistungsansprüchen festhalten. „Andernfalls wäre der Zugang zu kieferorthopädischen Leistungen stark vom Einkommen der Versicherten beziehungsweise ihrer Sorgeberechtigten abhängig.“

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