Putins Charme-Offensive für Kiew

Moskau · Im Streit um die Ukraine erhöhen EU und Russland den Einsatz. Während der Westen sich mit den Gegnern des prorussischen Präsidenten Janukowitsch solidarisiert, lockt der Kreml mit einem engen Bündnis.

Was Kremlchef Wladimir Putin von den Massenkundgebungen in der Ukraine hält, ließ er bereits vor seiner Rede an die Nation wissen. Das seien nur vom Westen gesteuerte Proteste, Machtspiele der Kiewer Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko. Ziele oder eine echte Kraft habe die Bewegung aber nicht. Im prunkvollen Kremlpalast in Moskau geht Putin nun noch einmal auf das Nachbarland ein. Es ist ein fast väterlicher Appell, sich doch auf die richtige Seite zu stellen angesichts von Chaos, Krise und Werteverfall in vielen Ländern.

Russland strebe anders als andere - er erwähnt die USA und die EU nicht namentlich - keinen "Großmachtstatus" an und sage niemandem, wie er zu leben habe, sagt Putin. Gleichwohl sei Russland in der "historischen Verantwortung", traditionelle Werte zu schützen, um so Stabilität und Frieden in der Welt zu garantieren. Dazu passt, dass russische Staatsmedien seit Wochen von den ukrainischen Protesten auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz in Kiew berichten, es handle sich hier um Folgen von westlichem Vormachtstreben. Putin betont im Kremlpalast, dass Russland in einer "zunehmend widersprüchlichen Welt", in der Gut und Böse kaum noch unterscheidbar seien, eine führende Rolle einnehmen wolle - als "Garant globaler und regionaler Stabilität".

In seiner größtenteils unverbindlichen Rede lässt der 61-Jährige keinen Zweifel, dass er sein von der Europäischen Union aufmerksam verfolgtes Projekt einer eurasischen Wirtschaftsunion durchsetzen will. Kritiker werfen Putin zwar vor, dass er nach dem Zerfall der Sowjetunion an Phantomschmerz leide, die EU um ihre Größe beneide und deshalb imperiale Großmachtziele vorantreibe. Doch bei dieser Rede verspricht er denjenigen, die mit Moskau zusammenarbeiten, "Gleichberechtigung". Keine Drohungen mehr gegen die Ukraine, sollte sie sich mit der EU einlassen. Stattdessen bietet er in einer Charmeoffensive dem Brudervolk noch einmal an, in einer Zollunion mit anderen früheren Sowjetrepubliken mitzuarbeiten.

Welchen Weg die Ukraine gehen wird, ist auch nach mehr als drei Wochen Massendemonstrationen mit Barrikaden in Kiew nicht absehbar. Auch gestern demonstrierten 20 000 Menschen für einen Westkurs des Landes. Westliche Emissäre geben sich bei Regierung und Opposition weiter die Klinken in die Hand, um das Land auf einen europäischen Kurs zu bringen. Das Europaparlament in Straßburg erklärte sich gestern mit den Gegnern des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch solidarisch und will ebenfalls schnell eine Delegation nach Kiew schicken.

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HintergrundDie USA erwägen nach dem brutalen Vorgehen ukrainischer Spezialeinheiten gegen die Opposition Sanktionen. Alle Optionen lägen auf dem Tisch, sagte Außenamtssprecherin Jen Psaki. Um repressive Staaten unter Druck zu setzen, hatte Washington bislang Einreiseverbote für Regierungsvertreter verhängt oder deren Vermögen eingefroren. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel warnte seinen ukrainischen Kollegen Pawel Lebedew davor, das Militär gegen die Demonstranten einzusetzen. dpa

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