Überwachung ist auf der Insel kein Aufreger

London · Der Überwachungsalbtraum des berühmten Autors George Orwell wird wahr: In Großbritannien sammelt der Staat Daten und überwacht wie ein Weltmeister. Doch die Bürger stört es kaum. Sie sind es schon gewohnt.

Man hört rein gar nichts von Christopher Graham. Dabei hätte der Mann allen Anlass, sich zu Wort zu melden. Graham ist Großbritanniens Datenschutzbeauftragter, unabhängiger Wächter sozusagen über die Privatsphäre der Bürger. Und die wird zurzeit massiv verletzt. Genauer gesagt: Verletzt wird sie schon länger, aber in den letzten Monaten ist das volle Ausmaß einer neuen Variante der staatlichen Schnüffelei bekannt geworden. Wie der US-Whistleblower Edward Snowden enthüllte, greift der britische Abhördienst "Gouvernment Communications Headquarters" (GCHQ) routinemäßig die Telefon- und Internetkommunikation der Briten ab: nicht gezielt, was zur Gefahrenabwehr ja statthaft wäre, sondern massenhaft.

Christopher Graham allerdings hat zu diesem Thema nichts beizutragen. Vielleicht ist das gar nicht so überraschend, denn Grahams Schweigen reiht sich nahtlos in die Reaktionen anderer auf den Skandal ein: Die Öffentlichkeit kümmert es nicht, die Parteien schweigen und die Medien ignorieren weitgehend die Angelegenheit. Was im Rest der Welt für Aufregung sorgte, trifft in Großbritannien auf ein gelangweiltes Achselzucken.

Den Überwachungsalbtraum, den der Brite George Orwell vor mehr als sechzig Jahren in seinem Roman "1984" vorhersah, scheinen seine Landsleute heute wahr machen zu wollen, aber es regt niemanden auf. Vielleicht liegt diese Indifferenz der Briten gegenüber dem Überwachungsstaat daran, dass sie sich so gut an ihn gewöhnt haben. Kontroll- und Überwachungssysteme gibt es überall. Knapp zwei Millionen Kameras verfolgen die Briten auf Schritt und Tritt, mehr als überall sonst in der Welt. Großbritannien hat auch die größte DNA-Datenbank in der Welt, die die genetischen Daten von rund sechs Millionen Briten speichert, also von fast zehn Prozent der Bevölkerung. Und auf britischen Straßen wird jedes Fahrzeug erfasst. "Schöne neue Welt", würde da Orwells Kollege Aldous Huxley kommentieren.

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