Ken Loachs empörendes Spiegelbild der Verhältnisse in Cannes

Cannes · Ken Loach hält es wie die alternden Popgrößen nach ihrer Abschiedstournee: Zwei Jahre nach seinem Rückzug vom Regiefach belässt es das britische Urgestein bei einem kurzen Ruhestand-Intermezzo und kehrt nun nach "Jimmy's Hall" mit "I, Daniel Blake" wieder in den Wettbewerb von Cannes zurück. Ungerechtigkeiten gibt es schließlich noch genug, von denen er erzählen kann. Und soziale Missstände ebenso.

In der Pressekonferenz wurde Loach umjubelt für seinen Film, der zeigt, wie dem Tischler Dan (Dave Johns) förmlich die Existenz unterm Boden weggezogen wird. Ende 50, ist er eine ehrliche Haut, rau, aber herzlich und wegen Herzproblemen erstmals auf staatliche Hilfe angewiesen. Dabei gerät er ebenso in die Mühlen der Bürokratie wie die zweifache, alleinerziehende Mutter Katie (Hayley Squires). Sie ist aus einer Obdachlosenunterkunft in London nach Newcastle gezogen und mittellos, so dass es ihr und den Kindern am Nötigsten fehlt.

Ohne Wenn und Aber stellt sich Loach auf die Seite der taumelnden Benachteiligten, die allesamt gute Menschen sind. Der Staat ist im täglichen Überlebenskampf der Gegner. Die Erniedrigung im Arbeitsamt. Regelungen und Gesetze, die eingehalten werden ohne menschliches Augenmaß. "Das ist nicht nur in Großbritannien ein Thema, sondern in ganz Europa - der Grund dafür ist eine schockierende Politik", sagte Loach in Cannes. "Ich wollte zeigen, wie es ist, und das bricht einem nicht nur das Herz, sondern macht unsagbar wütend", fügte der 79-Jährige in Anlehnung an Brecht hinzu, den er davor zitierte.

Der Film hat Schwächen, die Geschehnisse werden zum Schluss allzu plakativ zugespitzt. Doch Squires und Johns spielen sich so präzise, so preisverdächtig durch den Film, dass Loachs sozialrealistisches Drama langsam ins Herz der Zuschauer kriecht.

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