Liebe in Zeiten der Diktatur

Saarbrücken · Jahrelang eröffnete ein Zirkus das deutsch-französische Theaterfestival. Am Donnerstag sah man zum Auftakt Tanz statt Akrobatik: Zehn Jahre nach ihrem letzten Besuch beim Festival zeigte die Company des preisgekrönten französischen Choreografen Angelin Preljocaj im Saarbrücker E-Werk „Roméo et Juliette“. Es ist das Stück, mit dem Preljocaj vor 20 Jahren bekannt wurde.

 Im Tod vereint: Roméo (Redi Shytylla) und Juliette (Virginie Caussin). Foto: oliver dietze

Im Tod vereint: Roméo (Redi Shytylla) und Juliette (Virginie Caussin). Foto: oliver dietze

Foto: oliver dietze

Der Stoff gehört zu den berühmtesten der Welt, Adaptionen des Shakespeare-Dramas gibt es unzählige - ob als Bühnenstück (derzeit auch in einer wunderbaren Inszenierung im Saarbrücker Staatstheater), Film oder Ballett. Preljocajs "Roméo et Juliette" ist nun auch schon 20 Jahre alt - hat aber nichts von seiner Aussagekraft verloren. Denn hier wird nicht nur die tragische, tödlich endende Liebesgeschichte zweier junger Menschen erzählt, die die Beschränkungen ihrer gesellschaftlichen Herkunft nicht überwinden können. Vielmehr gelingt es Preljocaj, in starken, brutalen Bildern und präzise choreografierten Bewegungen die Handlung auf eine politische Ebene zu verlagern.

Hier bekämpfen sich nicht nur zwei Clans im sonnigen Verona. Vielmehr werden die Capulets zu einer herrschenden, elitären Kaste, die ein verlumptes Proletariat (die Montagues) mit Gewalt und totaler Überwachung unterdrückt. Getanzt wird vor einer Ruinenlandschaft, eine Art monströser Wachturm beherrscht diese Science Fiction-Szenerie, in der es nie richtig hell wird - nur Romeo und Julia bringen immer wieder Licht- und Hoffnungsschimmer in diese morbide, lieblose, kaputte Welt. Der französische Illustrator Enki Bilal, bekannt durch seine abgründigen Science-Fiction-Comics, hat Bühnenbild und Kostüme entworfen.

Wo ist die Nachtigall? Wo der Balkon? Stattdessen mischt sich Hubschraubergedröhne in Sergei Prokofievs berühmte Ballettmusik aus dem Jahr 1936. Ein Soldaten-Tänzer patrouilliert mit einem (echten) Wachhund über eine Metallbrücke. Das Setting passt auf viele brandaktuelle politische, ethnische und religiöse Konflikte dieser Welt. Dass Preljocaj und seine in Aix-en-Provence stationierte Company gerade mit diesem Stück auf Jubiläumstournee gehen, liegt daher auf der Hand. Im Stechschritt marschieren die Herrscher auf, maskiert, bedrohlich, in schwarzes Leder gekleidet. Das Volk, die Montagues, leistet vergeblich Widerstand. Preljocaj lässt die Unbewaffneten in ihrer Verzweiflung und Wut mit bloßen Fäusten gegen das Militär antreten. Romeos Freund Mercutio (Liam Warren) wird von Baseball schwingenden Schergen in einer packenden Choreografie zu Tode geknüppelt.

Romantik? Zarte Annäherung? Das gibt es hier nicht. Die betörend sinnlichen Capulet-Frauen suchen sich beim Ball ihren Tänzer selbst aus. Forsch, direkt, ja grob geht Romeo (Redi Shytylla) zur Sache. Julia (Virginie Caussin) ziert sich nur kurz, dann erwidert sie die Gefühle ebenso brachial wie leidenschaftlich. Große Bewegungen spiegeln große Gefühle. Die Pas de deux des Liebespaares changieren zwischen Anziehung und Abstoßung. Die Liebe kommt schnell, mit Wucht.

Preljocaj zeigt die sexuelle Anziehungskraft zwischen Romeo und Julia als wilde Rauferei. Die beiden sind besessen voneinander. Immer wieder zieht Romeo seine Geliebte an sich, wirft sie, fängt sie auf, wirbelt sie durch die Luft. Es ist Leidenschaft, die weh tun kann. Nur Julias wie Harlekins in schwarz-weiß gekleidete Ammen bewahren in ihren steifen, mechanischen Bewegungen die Contenance, die dem jungen Oberschichten-Mädchen so offensichtlich abhanden gekommen ist. Für die Hochzeitsnacht hat der Choreograf wunderschöne Bilder gefunden: Vier Paare hinter transparenten Paravents ergänzen, spiegeln und verstärken in ihren Bewegungen das Liebesspiel der beiden. Dankenswerterweise verzichtet Preljocaj auf viele Figuren und verdichtet so die Handlung.

Die Schlussszene in der Gruft wird im wahrsten Sinne zum Totentanz: Romeo schleudert die leblose Julia verzweifelt über die Bühne und auf einen Stuhl. In seinem Schmerz mischen sich Liebe und Wut. Wir sehen eine Art handgreifliche Trauer, die dem Tänzerpaar viel abverlangt. Die Liebe siegt nicht über die Gewalt. Dieses Stück verspricht noch lange aktuell zu bleiben.

Programm und Karten unter: www.festival-perspectives.de

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