Wenn Erdogan-Kritiker Vaterlandsverräter sind

Düsseldorf · Türken in Deutschland fürchten sich vor dem langen Arm des Präsidenten in Ankara. Dennoch formieren einige jetzt den Widerstand.

 Für ein Nein beim Referendum: Gökay Sofuoglu, Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, kämpft gegen Erdogans Pläne zum Ein-Mann-Staat. Foto: dpa

Für ein Nein beim Referendum: Gökay Sofuoglu, Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, kämpft gegen Erdogans Pläne zum Ein-Mann-Staat. Foto: dpa

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Ausgrenzung, Einschüchterung, Drohungen, Bespitzelung: Unter Kritikern des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland herrscht große Verunsicherung. Ankara hat die türkische Community hierzulande fest im Blick und scheint nach Einschätzung vieler die Grenzen einer vertretbaren Einflussnahme deutlich zu überschreiten.

Bald können sich hierzulande gut 1,4 Millionen Wahlberechtigte an der Volksabstimmung über die umstrittene Verfassungsänderung in der Türkei beteiligen, die Erdogan deutlich mehr Macht einräumen würde. Es könnte sein, dass die Deutsch-Türken den Ausschlag geben. Und unter ihnen sind auch viele Gegner des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, beobachtet: "Nein-Sager werden mit Vaterlandsverrätern und Terroristen gleichgesetzt. Dieser emotionale Druck wird vor allem systematisch von AKP-Anhängern bei ihren Veranstaltungen untermauert." Er selbst erlebe Einschüchterungsversuche praktisch täglich: "Zum Beispiel wird mir anonym mitgeteilt, dass alle meine Äußerungen an den türkischen Geheimdienst oder die AKP weitergeleitet werden."

Die Türkische Gemeinde will für ein Nein beim Referendum werben. Mit der vorgesehenen Verfassungsänderung entferne sich "die Türkei von jeglichen demokratischen Grundsätzen", heißt es in einem offiziellen Beschluss, der den Zeitungen "Heilbronner Stimme" und "Mannheimer Morgen" vorliegt. "Die Türkische Gemeinde lehnt jegliche Bemühungen ab, die das Land in ein Ein-Mann-Regime führen." Bundesweit seien bis zu 400 Veranstaltungen geplant, "auf denen wir für ein Nein werben."

Der deutsch-türkische Journalist Hüseyin Topel schildert die Lage so: "Der innertürkische Konflikt wird in allen Facetten in Deutschland in der türkischen Community ausgetragen." Eine zentrale Rolle spiele die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, die "zu Erdogans wichtigsten Propaganda-Instrumenten in Europa" gehöre. Die UETD - verlängerter Arm der Regierungspartei AKP - organisiere Großveranstaltungen von türkischen Politikern und werbe aktiv für Erdogan. "Es wird aufgerufen zu Vaterlandstreue und religiöser Korrektheit und damit Stimmung für Erdogan gemacht."

UETD-Generalsekretär Bülent Bilgi weist das "entschieden" zurück. "Das ist lächerlich. Es gibt keine Einflussnahme von unserer Seite. Die Leute kommen freiwillig zu Zehntausenden zu den Veranstaltungen, die wir organisieren."

Topel widerspricht. Wer nicht auf Linie sei, müsse mit Drohungen und Druck rechnen. "Viele Leute haben Angst, dass sie ausspioniert werden, dass sie auf Listen des Staatsschutzes landen." Die UETD habe ihn - erfolglos - verklagt, um ihn als Journalisten zu zermürben. Er selbst habe keine Angst, solange er in Deutschland arbeite, aber: "In die Türkei zu fahren, wäre Selbstmord. Da wäre ich einem System ausgeliefert, das gerade das Recht abschafft."

Neue Vorwürfe gegen türkische Generalkonsulate sorgen für weitere Unruhe. Konsulate in Nordrhein-Westfalen sollen in Veranstaltungen türkeistämmige Lehrer und Eltern aufgefordert haben, Erdogan-Kritiker zu melden. Die Bildungsgewerkschaft GEW hatte über solche Treffen berichtet. NRW-Vizechef Sebastian Krebs sagt, er habe mit Teilnehmern solcher Runden gesprochen, die sich aber nicht trauten, ihren Namen zu nennen. "Alle haben Angst." Die Generalkonsulate in Düsseldorf und Essen weisen die Vorhaltungen in der "Rheinischen Post" jedoch als "nicht korrekt" und "bewusste Entstellung der Arbeit der türkischen Konsulate" zurück.

In NRW haben laut Landesverfassungsschutz 13 Imame der türkisch-islamischen Union Ditib Informationen von 33 Personen und elf Institutionen - angeblich Anhänger des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen - an türkische Konsulate gemeldet. Aber auch weitere Spitzel-Berichte aus Deutschland und aus Nachbarländern seien nicht auszuschließen, betont Verfassungschef Burkhard Freier. Die Order kam von der Religionsbehörde Diyanet in Ankara.

Warum fallen die wahlberechtigten Türken in Europa so ins Gewicht für Erdogan? Sofuoglu: "Die Zahl der Kritiker und Nein-Sager wächst in der Türkei, es könnte sehr knapp werden für die geplante Verfassungsänderung mit dem angestrebten autokratischen Ein-Mann-System."

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