Fürsorge im Fünf-Minuten-Takt

Saarwellingen · Die Fahrer des Roten Kreuzes bringen nicht nur warmes Essen. Sie bieten auch ein Stück Sicherheit.

 Annemarie Folz vom Roten Kreuz bringt Karin Schneider in Saarbrücken in einer Wärmebox ihr Mittagessen direkt bis in die Küche. Fotos: Rolf Ruppenthal

Annemarie Folz vom Roten Kreuz bringt Karin Schneider in Saarbrücken in einer Wärmebox ihr Mittagessen direkt bis in die Küche. Fotos: Rolf Ruppenthal

Die weiße Spitzengardine wackelt, hinter den roten Blümchen auf der Fensterbank bewegt sich jemand. "Wir werden bereits erwartet", sagt Annemarie Folz und parkt den Berlingo am Bordsteinrand. Aus dem Kofferraum holt sie aus einem Fach des mobilen Ofens eine Menüschale aus weißem Plastik und packt sie in eine Styroporbox. Die Haustür ist bereits geöffnet, ein Lächeln breitet sich über das von Falten zerfurchte Gesicht von Maria S. (Namen aller Kunden geändert) aus. Die Freude über den Besuch ist groß, die Portion "Ente in süß-saurer Soße", deren Duft sich durch die Verpackung drängt, ist in diesem Moment Nebensache. "Es schmeckt", lobt die Seniorin. Selber kochen und einkaufen kann sie nicht mehr.

Seit fast sechs Jahren liefert Annemarie Folz für den Kreisverband Saarlouis des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) das Essen aus. Sie weiß, dass sie für manche Kunden heute die einzige Gesprächspartnerin sein wird. "Gerade bei langjährigen Kunden bekommt man die Schicksalsschläge mit. Wenn da einer vor mir in Tränen ausbricht, bleibe ich natürlich und höre zu. Ich kann den Menschen dann doch nicht alleine lassen!", sagt die 56-Jährige. Anderen reicht es wiederum, wenn sie das Essen in die Box vor der Haustür legt.

Ausgelassene Stimmung herrscht einige Stationen später bei Karin Schneider in Saarbrücken. Mit drei Freundinnen hält die 77-Jährige ein Kaffeekränzchen. Das Essen - gewählt hat sie für heute den Quark-Gries-Auflauf - gibt es später. "Das Essen hat jetzt eine Temperatur von 75 Grad Celsius, in der Box hält es sich noch gut drei Stunden warm", sagt Folz.

Rund 350 Mahlzeiten liefern die zehn Fahrer des DRK täglich von der Geschäftsstelle in Saarwellingen aus - bis nach Beckingen im Norden und Saarbrücken im Süden. Ab 7.45 Uhr haben Michael Drechsler und Fridolin Wolf die Lieferwagen mit den Menüs bestückt. Besonders beliebt ist an diesem Tag die Jägerfrikadelle mit Champignonsoße. Dabei ist höchste Konzentration gefragt, betonen die Männer - denn täglich können die Kunden aus vier Gerichten auswählen, hinzu kommen Beilagen wie Suppe und Nachtisch. Das alles muss in der richtigen Reihenfolge in den mobilen Öfen verstaut werden. Wöchentlich liefert eine Firma aus Nordrhein-Westfalen die Menüs. Bis zur Auslieferung lagern die Speisen bei minus 18 Grad Celsius in einem Kühlhaus. Bis vor zehn Jahren hat der DRK-Kreisverband das Essen aus einer Krankenhaus-Großküche bezogen. Doch nach teils weiten Lieferwegen habe es Probleme mit der Temperatur gegeben und auch mit der Qualität. "Ein Brokkoli, der zweieinhalb Stunden alt ist, schmeckt nicht mehr frisch", sagt DRK-Kreisgeschäftsführer Aljoscha Struck.

Als erste Einrichtung in Deutschland - und bisher einzigen im Saarland - habe das DRK daher auf das Modell mit den in Lieferautos integrierten Öfen, den Konvektomaten, umgestellt. "Das Essen, das wir geliefert bekommen, ist zu 80 Prozent vorgekocht, im Fahrzeug erreicht es dann 100 Prozent und wird dort warm gehalten", erklärt Struck.

Zwischen 6,05 Euro für das Mini-Menü bis zu 7,95 Euro für das Menü Feinschmecker reichen die Preise pro Mahlzeit, die auch am Wochenende heiß bis an die Wohnungstür geliefert wird - frühestens um 10, spätestens um 13 Uhr. Doch nicht jeder kann sich den Service leisten, das wissen auch Struck und die Leiterin des Menüservices, Eva Hiry. "Haben vor zehn Jahren die meisten Kunden noch für die komplette Woche Menüs bestellt, erleben wir nun häufig, dass nur an drei oder vier Tagen pro Woche bestellt wird", sagt Hiry. Sie vermutet, dass manche Kunden um zu sparen, sich eine Portion über zwei Tage aufteilen. Etwas günstiger ist das Tiefkühl-Angebot, bei dem die Mahlzeiten aus einem Katalog mit 150 Gerichten ausgewählt werden können. Die Menüs zum Erhitzen im Backofen oder in der Mikrowelle werden einmal pro Woche geliefert.

Empathie braucht Annemarie Folz für ihren Beruf, ein Navigationsgerät hingegen nicht. Seit drei Jahren fährt sie die gleiche Route, durch die Saarbrücker Innenstadt, Wallerfangen und Saarlouis-Beaumarais. Gut hundert Kilometer täglich. Dort, wo in anderen Autos der kleine Lotse hängt, ist im Lieferwagen eine Anzeige, wie die Temperatur in den Öfen ist. "Ready to deliver" ("Fertig zum Ausliefern"), tönt es aus der Box - Signal dafür, dass die Menüs für Saarbrücken gar sind. Ofen Nummer zwei schaltet sich per Zeitschaltuhr später an, rechtzeitig, damit das Essen 50 Minuten später für die Kunden in Wallerfangen fertig ist.

Manchmal muss sie lange warten, bis ihr geöffnet wird. Doch als auch nach dem fünften Klingeln niemand öffnet, greift Annemarie Folz zum Telefon. Die Frau ist zuhause - hatte aber die Klingel nicht gehört. Die Kunden seien insgesamt älter und gebrechlicher geworden. Auch immer mehr Demenzkranke seien dabei. "In letzter Zeit müssen unsere Fahrer oft Erste Hilfe leisten, etwa weil ein Kunde gefallen ist", sagt Eva Hiry. "Viele Angehörige sind auch dankbar über die Sicherheit, dass einmal am Tag jemand nach den Eltern schaut", sagt Struck.

Fahren, parken, laufen, reden: Ob in die Wohnung im siebten Stock oder das kleine Reihenhäuschen - Annemarie Folz bekommt bei ihren 24 Kunden im Fünf-Minuten-Takt das Leben in den verschiedensten Facetten zu spüren. Für manche Wohnungen hat sie den Haustürschlüssel und bringt das Essen direkt in die Küche. In ihren früheren Beruf als Speditionskauffrau will sie nicht zurück, zu sehr schätzt sie den Kontakt zu den Menschen. Von den Kunden bekomme sie viel zurück. "Sie ist eine gute Seele", sagt Edith K.. Seit einem Unfall ist der linke Arm in Gips. Folz hat ihre Post aus dem Briefkasten geholt und das Fleisch klein geschnitten. Die Geschichten der Menschen, die sie täglich sieht, lassen sie nicht kalt. Etwa der Mann, dem vor zwei Jahren das Bein abgenommen wurde und nun im Rollstuhl sitzt, oder der Herr, dem sie das Essen in pürierter Form bringt, da er nach einem Geschwür im Gesicht nicht mehr kauen kann. Sie weiß, dass sie mit ihrer Arbeit auch dazu beiträgt, dass die Menschen länger im eigenen Zuhause bleiben können. "Das ist es doch, was die meisten wollen."

Zum Thema:

 Frühmorgens bestückt Michael Drechsler die mobilen Öfen in den Fahrzeugen. Dort wird das Essen dann fertig gegart und erhitzt.

Frühmorgens bestückt Michael Drechsler die mobilen Öfen in den Fahrzeugen. Dort wird das Essen dann fertig gegart und erhitzt.

Hier gibt es "Essen auf Rädern" Infos über den Menüservice des DRK KV Saarlouis gibt es unter (0 68 38) 98 09 48. Auch weitere Wohlfahrtsverbände bieten "Essen auf Rädern"an. Etwa die Caritas Neunkirchen unter Tel. (0 68 25) 38 38, die Caritas Merzig unter Tel. (0 68 61)91 20 70, die Arbeiterwohlfahrt (Awo) unter Tel. (06 81) 70 95 10, der Arbeitersamariterbund (ASB) in Illingen unter (0 68 25) 46 290 und der ASB-Ortsverband Saarpfalz unter (0 68 41) 984900.

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