Zerreißprobe für den deutschen Fußball

Die Bürostadt in Niederrad ist nun wirklich nicht das angesehenste Viertel Frankfurts. Morgens herrscht das große Kommen, abends das große Gehen: Kein anderes Areal der Mainmetropole ist so auf Geschäftstätigkeit ausgerichtet

Die Bürostadt in Niederrad ist nun wirklich nicht das angesehenste Viertel Frankfurts. Morgens herrscht das große Kommen, abends das große Gehen: Kein anderes Areal der Mainmetropole ist so auf Geschäftstätigkeit ausgerichtet. Irgendwie passend, dass sich hier heute in einem Kongresshotel tagsüber die Vertreter von 36 Profivereinen versammeln, um auf einer Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball Liga (DFL) über ein richtungweisendes 37-seitiges Sicherheitskonzept abzustimmen. Aufgegliedert in 16 Einzelanträge, deren Für und Wider vor ihrer Verabschiedung im geschlossenen Zirkel diskutiert werden.Die Hinweise verdichten sich, dass es der DFL-Führung in Sondersitzungen und Zusammenkünften gelungen ist, die Mehrzahl der Klubs hinter dem mehrfach modifizierten Maßnahmenkatalog zu vereinen. Trotz weiterhin großer Vorbehalte rechnen DFL-Vertreter fest damit, dass das überarbeitete Sicherheitspapier mehrheitliche Zustimmung erfährt. Liga-Präsident Reinhard Rauball wird dazu eine Grundsatzrede halten, schließlich geht es weniger um die endgültige Klärung von pikanten Sicherheitsfragen, sondern um ein politisches Signal. "Die Pläne für den Fall, dass den Erwartungen nicht entsprochen wird, sind viel konkreter, als manche meinen", gesteht Rauball.

Ein Stück weit besitzt die Veranstaltung damit auch einen Showeffekt - ansonsten würde nämlich die Politik das Heft des Handelns übernehmen, wie Innenminister Hans-Peter Friedrich nicht nur einmal angedroht hat. Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, urteilt als gemäßigte Stimme: "Letztendlich wird nicht das Papier ausschlaggebend sein, sondern wie die Fans vor und in den Stadien behandelt werden. Es ist ein großer Vertrauensverlust zu konstatieren." Diesen Unmut werden deshalb heute einige Vereine in die Debatte tragen.

Sicher werden der FC St. Pauli und Union Berlin bei ihrer Ablehnung bleiben, neben dem Hamburger SV hat auch der SV Werder Bremen angekündigt, auf eine Verlegung der Abstimmung zu drängen. Präsident Klaus-Dieter Fischer liegt da auf Linie mit HSV-Klubchef Carl-Edgar Jarchow: Die Verunsicherung unter der Anhängerschaft sei zu groß. Der Zorn der Fans zielt vor allem auf zwei Anträge. Hinter Antrag 8 werden Ganzkörperkontrollen vermutet, wie sie im November der FC Bayern vor dem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt durchführte, wo sich Gästefans in Zelten ausziehen mussten. Der Ligaverband stellte danach eilig fest, keine Ganzkörperkontrollen "statuarisch verankern" zu wollen, beantragt nun aber "lageabhängige Kontrollen". Entscheiden darüber sollen Heimverein und Polizei. Und führen dann doch Vollkontrollen durch?

Mehr als Misstrauen weckt eine mögliche Reduzierung der Kartenkontingente für Auswärtsfans im Antrag 14. Bisher standen jedem Gastverein mindestens zehn Prozent des Ticketkontingents der Stadionkapazität zu. Nun heißt es, vorbehaltlich einer "anderslautenden rechtskräftigen Entscheidung eines DFB-Rechtsorgans oder Festlegung des Heimvereins bei Spielen mit erhöhtem Risiko". Ist also Borussia Dortmund der Ansicht, Schalker Anhänger stellen im Derby eine Gefährdung dar, könnte das Gästekontingent gekürzt werden. Fanvertreter sprechen von Willkür. Bei den Kollektivstrafen besteht mittlerweile zwischen Ligaverband und Fanorganisationen Einigkeit, diese "so weit wie möglich zu beschränken".

Bestimmende Faninitiativen haben erkannt, dass Hardliner aus Politik und Polizei, die mit der Abschaffung der Stehplätze oder der Kostenübernahme von Polizeieinsätzen drohen, nur noch mehr Schaden anrichten. Vor diesem Hintergrund ist die DFL immer noch der bessere Gesprächspartner. "Ich hoffe, die DFL lässt den Worten Taten folgen. Wir setzen jedenfalls auf Dialog", sagt Philipp Markhardt, Sprecher der für den Stimmungsboykott verantwortlichen Organisation "12doppelpunkt12".

Das in dieser Vielfalt einmalige und tiefe Feedback aus der Fanszene hat zumindest dazu geführt, dass viele Vereine so intensiv wie nie mit ihrer Basis kommuniziert haben. Das könnte die Grundlage bilden, ohne Zeitdruck noch alternative Lösungen zu entwerfen. Unter diesem Aspekt wäre die Verabschiedung des Sicherheitspakets sogar ein Meilenstein für ein friedliches Miteinander. So kann es kommen. Im günstigsten Fall. Im ungünstigsten dreht sich die Spirale der Gewalt weiter.

Hintergrund

Das Sicherheitskonzept für deutsche Stadien, über das heute in Frankfurt abgestimmt wird, hat einen langen Weg hinter sich:

12. November 2011: Innenminister Friedrich fordert mehr Anstrengungen der Klubs im Kampf gegen die Gewalt in den Stadien.

28. November 2011: Eine bundesweite Task Force Sicherheit wird gegründet.

17. Juli 2012: Der deutsche Fußball reagiert mit längeren Stadionverboten auf wachsende Gewalt und erteilt Pyrotechnik Absage.

24. September 2012: DFL verschickt ein erstes Strategiepapier an die Klubs.

21. und 22. Oktober 2012: Union Berlin, FC St. Pauli, Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf lehnen das Sicherheitskonzept ab.

23. Oktober 2012: Fananwälte halten Maßnahmenkatalog für rechtswidrig.

1. November 2012: Fans bleiben trotz Zugeständnissen beim Sicherheitskonzept skeptisch.

15. November 2012: Die DFL überarbeitet ihr Positionspapier "Sicheres Stadionerlebnis".

21. November 2012: Die Fanorganisationen "ProFans" und "Unsere Kurve" begrüßen Korrekturen.

7. Dezember 2012: Die Innenminister drohen DFL und DFB, sollten sie das Konzept nicht absegnen, tragen die Vereine künftig die Kosten der Polizeieinsätze mit. dpa

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