"Wir dachten, das ist das Ende der Zivilisation"

Banda Aceh. Klar ist Gras gewachsen über dem Massengrab Kuburan Massal in Banda Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra. Über dem weiten Feld, wo 14262 Opfer des verheerenden Tsunamis vom 26. Dezember 2004 begraben wurden, liegt Stille. Ein junges Ehepaar steht hier, der Mann mit einem Baby auf dem Arm. Die beiden verharren minutenlang bewegungslos imGedenken an die Toten

 Der australische Premier Kevin Rudd machte sich vor einigen Wochen ein Bild vom Wiederaufbau in Banda Aceh. Fotos: dpa

Der australische Premier Kevin Rudd machte sich vor einigen Wochen ein Bild vom Wiederaufbau in Banda Aceh. Fotos: dpa

Banda Aceh. Klar ist Gras gewachsen über dem Massengrab Kuburan Massal in Banda Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra. Über dem weiten Feld, wo 14262 Opfer des verheerenden Tsunamis vom 26. Dezember 2004 begraben wurden, liegt Stille. Ein junges Ehepaar steht hier, der Mann mit einem Baby auf dem Arm. Die beiden verharren minutenlang bewegungslos imGedenken an die Toten.

"Ich war überzeugt, dass das der Weltuntergang ist", sagt Juanda (32) in der Küstenstadt Calang ein paar Autostunden südlich von Banda Aceh. 600 Familien leben hier heute, 80 Prozent der Einwohner kamen vor vier Jahren ums Leben. "Wir haben zwei Wochen keinen Helfer gesehen. Wir dachten, das ist das Ende der Zivilisation, die ganze Welt ist zerstört." Juanda hatte sich auf Hügel hinter der Stadt gerettet.

In Banda Aceh lebt Fauzan Azimsiyah (25) die bangen Stunden noch einmal durch. "Da oben haben wir gestanden", sagt er und deutet auf den zweiten Stock einer Villa. Als die Erde am Morgen bebte, lief er aus dem Haus, um zu sehen, was in der Nachbarschaft passiert war. "Kurz drauf schrien die Leute schon: Das Wasser kommt, rennt!"

Azimsiyah rannte die Treppe in der Villa hinauf, als das Wasser rasant stieg. "Da sah ich eine Frau im Wasser, mit einem Baby auf dem Arm." Azimsiyah hielt sich am Kabel der Deckenlampe fest, um die Frau zu packen. Er konnte sie zur Treppe schieben. "Als das Wasser ablief, tauchten die Köpfe von sechs alten Frauen auf, die nach Luft rangen." Azimsiyah brachte auch sie in Sicherheit. Dann ging er hinaus, um seine Schwester zu suchen. "Da kam die nächste Welle. Ich schwamm zu einem Zaun und hielt mich fest. Wenn Geröll kam, bin ich untergetaucht. Ich weiß nicht, wo ich die Kraft hergenommen habe." Es hat Stunden gedauert, bis das Wasser weg war. Und dann bricht Azimsiyahs Stimme. "Tagelang bin ich rumgelaufen, aber von meiner Schwester habe ich bis heute keine Spur gefunden."

2000 Schulen zerstört

Die Naturkatastrophe hat rund um den Indischen Ozean fast eine Viertelmillion Menschenleben gefordert. Aceh, das besonders nah am Epizentrum lag, traf es am schlimmsten. Die Statistik der Wiederaufbaubehörde hat das Unfassbare in nüchternen Zahlen erfasst: 170000 Tote, 550000 Menschen obdachlos, 116000 Häuser, mehr als 3000 Kilometer Straße, 2000 Schulen, 2000 Brücken, 1000 Boote, 700 Kliniken zerstört.

In Banda Aceh liegt wie ein Mahnmal das riesige Kraftwerksschiff "Ltd Apung 1" mitten in einem Stadtteil, kilometerweit von der Küste entfernt. Es wurde auf der meterhohen Welle hierher gespült und krachte dann auf unzählige Häuser nieder. In einem anderen Stadtteil liegt ein 20 Meter langes Holzboot auf einem Häuserdach. Die rote Farbe blättert längst ab. 59 Menschen wurden auf dem Boot gerettet. "Arche Noah" heißt es seither.

Die Bilder des Schreckens am zweiten Weihnachtstag haben damals weltweit eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft losgetreten. Allein das Rote Kreuz und der Rote Halbmond erhielten eine Milliarde Dollar an Spenden. Das Deutsche Rote Kreuz sammelte 112 Millionen Euro. Sein Einsatz geht in diesen Wochen zu Ende. Insgesamt wurden 1491 Häuser gebaut, 32 Schulen und sieben Kliniken sowie 1700 Brunnen gesäubert. Lehrer wurden ausgebildet, Berufsschulen eingerichtet, Erwachsene und Kinder gedrillt, wie sie sich besser schützen können - die nächste Katastrophe kommt im erdbebengefährdeten Aceh bestimmt.

Eine der vom DRK gebauten Schulen steht auf der Insel Pulau Weh rund eine Bootsstunde von Banda Aceh entfernt. Das alte Gebäude wurde von der Flutwelle zerstört, der Schulleiter starb. Heute glänzen auf einer Anhöhe die roten Dächer der neuen Schule in der Sonne. Auf dem Hof stehen 25 Schüler und singen zu Ehren der DRK-Besucher die deutsche Nationalhymne. "Es ist alles so frisch und sauber hier", lobt Schülerin Putri Agustina (17).

Auf der Insel wurden die Fischerdörfer direkt am Meer zerstört. Eines hat das DRK 200 Meter weiter auf dem Hügel neu aufgebaut. 75 Familien leben in Krueng Raya. Die kleinen Häuschen stehen dicht an dicht. Vor der Nummer 41 steht strahlend Mariani Abdulwahid (38). Sie lebt mit ihrem Mann und sechs Kindern auf den rund 45 Quadratmetern. Mit Baby Linda auf dem Arm zeigt sie ihr Heim.

"Schöner als je zuvor"

Im sonst kahlen Wohnzimmer steht ein Fernseher mit Spitzendeckchen, daneben zwei riesige Lautsprecherboxen. Auf die grünen Küchenwände ist sie besonders stolz. "Schöner als je zuvor" sei ihr Haus. Die Rotkreuz-Gesellschaften haben alle nach dem gleichen Prinzip gearbeitet: Den Familien sollten nicht wieder Holzhütten hingesetzt werden, sondern bessere Behausungen.

Nicht alle aus dem zerstörten Dorf haben ein neues Leben begonnen. Zwischen den trostlosen Ruinen sitzen noch ein paar Leute, die ihre Grundstücke am Meer nicht aufgeben wollten. Sie warten seitdem vergeblich auf die versprochene Hilfe der Regierung. Sepridah Nur Hayahni (50) steht in ihrem verdreckten Hof, dürre Hühner rennen herum. Sie hat zwei Kinder, einen Bruder, sechs Enkel verloren. "Wenn ich die Augen zumache, habe ich immer noch Albträume", sagt sie. Mit ihrer Schwester schläft sie auf einer notdürftig überdachten Holzpritsche. Nur die Hühner haben ein ordentliches Blechdach über ihrem Verschlag. Ihr Mann ist Fischer. "Er verraucht das wenige Geld, das er verdient."

Der Tsunami hat einen hunderte Kilometer langen Küstenstreifen von Sumatra verwüstet. Das Salzwasser drang teils mehrere Kilometer ins Land ein. Einige Flächen sind noch vom Salz verseucht. Dort ragen tote Baumstämme als stumme Zeugen des Grauens in den Himmel. Ansonsten erinnert die malerische Küste südlich von Banda Aceh mit ihren herrlichen Stränden wieder an den Traum vieler Touristen.

 Mariani Abdulwahid mit Baby Linda in der Küche ihres neuen Hauses auf der Insel Pulau Weh.

Mariani Abdulwahid mit Baby Linda in der Küche ihres neuen Hauses auf der Insel Pulau Weh.

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