Wenn starke Typen schwach werden

Berlin. Für den scheidenden Linken-Chef Oskar Lafontaine, war das alles schon einmal da gewesen. Als er vor Monaten seine Krebserkrankung bekanntgab, wollten Partei-"Freunde" umgehend eine Nachfolgedebatte vom Zaun brechen. Etwas Ähnliches passiert gerade in der CDU mit dem gesundheitlich angeschlagenen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)

Berlin. Für den scheidenden Linken-Chef Oskar Lafontaine, war das alles schon einmal da gewesen. Als er vor Monaten seine Krebserkrankung bekanntgab, wollten Partei-"Freunde" umgehend eine Nachfolgedebatte vom Zaun brechen. Etwas Ähnliches passiert gerade in der CDU mit dem gesundheitlich angeschlagenen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). "Mich empört es, wie derzeit versucht wird, ihn wegen seiner Erkrankung in Frage zu stellen", sagte Lafontaine. "Trotz seiner Behinderung ist er vielen seiner Kritiker deutlich überlegen. Er wird selbst erkennen, wenn seine Gesundheit die Weiterführung des Amtes nicht mehr zulässt", sagte Lafontaine.Deutschland steckt gerade in der schlimmsten Währungskrise seiner jüngeren Geschichte - und seinen Finanzminister hat es seit Tagen nicht gesehen. Das liegt nach offizieller Darstellung daran, dass Wolfgang Schäuble am vergangenen Wochenende das falsche Medikament nahm. Eines, das er in den bald zwei Jahrzehnten, die er nun schon im Rollstuhl sitzt, noch nie zuvor probiert hatte. Und jetzt soll der 67-Jährige nur noch ein paar Tage Pause brauchen, bevor er sich ab Montag wieder voll an die Arbeit machen kann. So weit die amtlichen Angaben. Allerdings wird im Regierungsviertel inzwischen viel spekuliert, dass der offizielle Abwesenheitsgrund "Medikamentenunverträglichkeit" nur vorgeschoben sein könnte. Was sich die Politik zum Teil selbst zuzuschreiben hat: Zu oft wurde in Bonn und Berlin nur die halbe Wahrheit gesagt oder glatt gelogen, wenn es um die Gesundheit von Spitzenpolitikern ging. Dabei gehörte Schäuble bislang zu denjenigen, die Auskunft über den eigenen Gesundheitszustand geben. Nach dem Attentat im Wahlkampf 1990 musste er sich an entsprechende Fragen gewöhnen. Im "Stern" stellte er sich einst sogar der Debatte, ob ein "Krüppel" Kanzler werden könne. Auch jetzt, als nach einer Routine-OP die Wunde nicht verheilte, schilderte der querschnittsgelähmte Minister die Komplikationen. Andere taten sich viel schwerer damit zuzugeben, dass die Gesundheit nicht mitmacht. Beim SPD-Kanzler Willy Brandt (Foto: Imago) war von einer "fiebrigen Erkältung" die Rede, als er vor seinem Rücktritt im Mai 1974 offensichtlich unter Depressionen litt. Später gab er zu: "In Wirklichkeit war ich kaputt." Nachfolger Helmut Schmidt (ebenfalls SPD) hatte lebensgefährliche Herzrhythmus-Störungen, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Helmut Kohl (Foto: ddp) musste in den 16 Jahren seiner Kanzlerschaft mehrfach wegen Prostata-Geschwulsten in die Klinik. 1995 war fälschlicherweise zunächst nur von einer "Grippe" die Rede. Auf einem Parteitag im September 1989, kurz vor dem Fall der Mauer, verschwieg der CDU-Chef sein Leiden sogar der engsten Umgebung, weil er einen Putsch befürchtete. In seinen Erinnerungen gab er zu: "Ich bekam wahnsinnige Schmerzen, und es kam mir vor, als könnte ich jeden Moment ohnmächtig werden." Wenn man sich die Bilder von damals nochmals betrachtet, wundert man sich, wie man das übersehen konnte. Der Fall Kohl illustriert sehr gut, warum die "Alphatiere" in der Politik über ihr Befinden nicht immer die Wahrheit sagen. Groß ist die Angst, dass die Schwäche sofort ausgenutzt wird - von der politischen Konkurrenz, aber auch von Leuten aus der eigenen Partei. Der frühere Verteidigungsminister und SPD-Fraktionschef Peter Struck (Foto: ddp), der zwei Herzinfarkte überlebt hat, sagte einmal: "In Amerika können die Politiker das besser, die reden auch von ihren Krankheiten, da gehört das dazu. Bei uns gilt immer noch das Image: Die Jungs und Mädels da oben müssen zu hundert Prozent leistungsfähig sein." Er wisse nicht, was passiert wäre, wenn er nach seinem Herzinfarkt gesagt hätte: "Leute, ich bin noch nicht ganz auf dem Damm, aber langsam wird es wieder. Ich glaube, eine solche Schwäche würde einem der politische Betrieb letztlich nicht verzeihen." Wohl auch deshalb blieb ein Schlaganfall in seiner Amtszeit als Minister offiziell ein "Schwächeanfall". Kanzler, Minister oder Parteichef sind Knochenjobs. Im Spitzenbetrieb sind Stress, kurze Nächte und wenig Freizeit die Regel. Und dann will in den oberen Etagen kaum jemand zugeben, dass es auch ohne ihn geht. Viele quälen sich weiter, weil sie sich für unentbehrlich halten. Manch einer merkt erst im Krankenhaus, dass man Signale des Körpers nicht einfach verdrängen kann. Der zwischenzeitliche SPD-Chef Matthias Platzeck musste erst mehrere Hörstürze und Zusammenbrüche hinter sich bringen, bevor er einsah, dass er auf das Amt verzichten musste. Der ehemalige Gesundheitsminister Horst Seehofer (Foto: ddp) ignorierte alle Warnzeichen so lange, bis er 2002 mit einer lebensgefährlichen Herzmuskelentzündung auf die Intensivstation kam. Es dauerte Monate, bis er wieder bei Kräften war. Später gab Seehofer zu: "Natürlich sind wir alle Junkies." Heute ist er CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident. "Natürlich sindwir alle Junkies."Horst Seehofer nacheiner Herzmuskelentzündung"In Wirklichkeitwar ich kaputt."Willy Brandt über Depressionen, die offiziell eine Erkältung waren"Ich kam mir vor, als könnte ich jederzeit ohnmächtig werden."Helmut Kohl über einen Auftritt trotz akuter Prostata-Leiden"Diese Schwäche würde einem der politische Betrieb nicht verzeihen."Peter Struck über öffentliche Auftritte als kranker Politiker

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