Jetzt hofft Schulz auf eine Mehrheit

Martin Schulz hatte mit einem solchen Ergebnis gerechnet: eine Mehrheit für die Konservativen, dahinter die Sozialdemokraten. So würde er, das war ihm klar, nicht zum Präsidenten der nächsten Kommission gewählt werden.

Deshalb habe es hinter den Kulissen seit Wochen Gespräche mit Grünen und Liberalen gegeben, um die christdemokratische Macht in Brüssel zu beenden, erzählen Eingeweihte. Dennoch sagt der SPD-Spitzenkandidat noch am Wahlabend tapfer: "Wir haben eine gute Chance, stärkste Fraktion im europäischen Parlament zu werden." Doch da laufen bereits die Vorhersagen aus den Mitgliedstaaten ein, die einen ganz anderen Trend belegen: In Frankreich werden die Sozialisten von Staatspräsident François Hollande erneut abgestraft. Die griechischen Wähler pulverisieren die sozialdemokratische Pasok-Partei und schicken sie mit etwa neun Prozent aufs Abstellgleis. Stattdessen stellen sie sich hinter den linken Euro-Gegner Alexis Tsirpas. Österreich, Finnland, Zypern - die ersten Staaten, aus denen Ergebnisse eintreffen, sind fest in konservativer Hand. "Noch ist nichts sicher", heißt es in den Reihen der Europäischen Volkspartei, der Dachorganisation der Konservativen. "Aber man kann doch ernsthaft davon ausgehen, dass Jean-Claude Juncker das Rennen um den Chefsessel der Kommission gemacht hat."

Europa hat gewählt. Erst um 23 Uhr durften die Wahlurnen in den Mitgliedstaaten geöffnet werden, bis zum frühen Montagmorgen werde es dauern, bis man einen Überblick habe, sagen die Experten in Brüssel. Erste Rechnungen kursieren aber schon deutlich früher: Demnach haben die Konservativen etwa 44 Sitze (künftig etwa 230) verloren, die Sozialdemokraten auch etwa zwei (194). Der bisherige Abstand ist spürbar zusammengeschmolzen, aber eine Wachablösung sieht anders aus.

Kurz vor 21 Uhr deutet sich erstmals an, dass auch der Sturm der Rechten auf die Straßburger Volksvertretung nicht so bedrohlich ausgefallen sein könnte wie befürchtet. Zwar gelingt es dem französischen Front National, zuhause Nummer eins zu werden. Gleiches schaffen die Gesinnungsgenossen in Dänemark, in Finnland holen sie 13, in Großbritannien offenbar 22 Prozent. Die österreichische FPÖ landet in ihrer Heimat auf Platz drei. In den Niederlanden aber liegt der Rechtspopulist Geert Wilders weit abgeschlagen. Ob daraus wirklich ein Bündnis wird, ist offen. Die Parteien seien zu unterschiedlich und nationalistisch, das widerspreche einer Koalition mit anderen, versucht man sich in Brüssel zu trösten.

Nun beginnt das große Sortieren, wer mit wem ein Bündnis eingehen könnte. Denn ohne starke Fraktion, für die im Parlament mindestens 25 Sitze nötig sind, "geht ein Abgeordneter unter", wie in Brüssel betont wird.

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