Die Kartoffel in den Händen des Kartells

Bonn · Hat ein Kartoffel-Kartell die Lieblingsknolle der Deutschen zu überhöhten Preisen verkauft? Diesen Verdacht hegt das Bundeskartellamt. Jahrelang sollen die Kartoffel-Verarbeiter dicke Gewinne eingefahren haben, die Dummen wären die Verbraucher.

Von Süßwaren, Kaffee oder Tiernahrung waren Preisabsprachen in der Vergangenheit ja bekannt. Erst recht bei Sprit. Dass aber die bislang unverdächtige, ja geradezu sympathische Kartoffel in die Hände eines Kartells fallen könnte, ist neu. Doch gerade dies ist offenbar geschehen. Diesem Verdacht ist das Bundeskartellamt jetzt mit einer Durchsuchungsaktion nachgegangen. Der Schaden durch illegale Preisabsprachen bei Kartoffeln soll Medienberichten zufolge für die Verbraucher zwischen über 100 Millionen und einer Milliarde Euro liegen.

Die "Süddeutsche Zeitung" nannte am Wochenende eine Summe von mehr als 100 Millionen Euro. Laut "Bild"-Zeitung summieren sich die illegal angehäuften Gewinne über zehn Jahre hinweg sogar auf rund eine Milliarde Euro. Eines der neun betroffenen Unternehmen kündigte in Mönchengladbach für die kommenden Tage eine Stellungnahme an. Vorher werde man sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Mehrere andere Unternehmen wollten auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben oder waren nicht erreichbar.

Der Kartellrechtsexperte Maxim Kleine sagte dazu, je weniger Anbieter, desto anfälliger sei eine Branche für illegale Preisabsprachen. Wenn Waren zudem austauschbar und homogen seien, seien dies generell gute Bedingungen für ein Kartell. Klagen der Handelsketten gegen die Kartoffelverarbeiter seien durchaus wahrscheinlich, wenn sich der Kartellverdacht bestätige. Für die Verbraucher in Deutschland sei es angesichts der "atomisierten Schäden" und mangels des Instruments der Sammelklage dagegen kaum möglich, ihren Schaden geltend zu machen.

Ein Verband kleiner und mittlerer Bauern begrüßte die Ermittlungen. Nicht nur die Verbraucher, sondern auch viele Landwirte seien durch Absprachen großer Kartoffelhandels-Unternehmen möglicherweise massiv geschädigt und betrogen worden, erklärte der niedersächsische Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Ottmar Ilchmann.

Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) sprach von einem Skandal, sollte sich der Verdacht illegaler Absprachen bestätigen. "Nicht nur die Verbraucher wären durch überhöhte Preise erheblich geschädigt worden", sagte er am Samstag. "Auch einige Kartoffelbauern haben ihre Pflanzkartoffeln möglicherweise zu erhöhten Preisen bekommen und wären die Geschädigten." Es könne nicht sein, dass wenige große Spieler die Konditionen diktieren und die Landwirte und Verbraucher die Zeche zahlten.

Laut "Süddeutsche Zeitung" sollen 80 bis 90 Prozent der großen und größeren Verarbeitungsbetriebe in der Kartoffel- und Zwiebel-Branche regelmäßig die Preise abgesprochen haben, zu denen die Supermarkt-Ketten beliefert wurden. Die Gewinnmarge soll so rasant in die Höhe gestiegen sein und sich mitunter verzehnfacht haben, vor allem auf Kosten der Verbraucher. Diese hätten in den Supermärkten weit mehr gezahlt als notwendig. Das Bundeskartellamt hatte am Freitag Ermittlungen wegen illegaler Preisabsprachen bestätigt. Neun Unternehmen aus dem Bereich Erzeugung und Vertrieb seien in der vergangenen Woche durchsucht worden.

Außerdem seien gegen fünf weitere Unternehmen schriftlich Bußgeldverfahren eingeleitet und die Wohnung eines Verdächtigen überprüft worden, teilte das Amt in Bonn mit. Es handele sich aber um einen Anfangsverdacht, und für die betroffenen Unternehmen gelte die Unschuldsvermutung. Dem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge stammen fünf der verdächtigen Firmen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern.

Das Kartell habe einfach funktioniert, sagte ein Branchenkenner. Es soll einen Anführer gegeben haben, der beispielsweise vor den Bestellungen der großen Discounter-Ketten die Kollegen angerufen und den Wochen-Preis ausgemacht habe. Die Angebote sollen sich dann nur um einen oder ein paar Cent unterschieden haben.

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Auf einen BlickKartoffeln sind von den Äckern und Tellern nicht wegzudenken, auch wenn in Deutschland immer weniger Erdäpfel gegessen werden. Dazu Zahlen und Fakten:Der Verbrauch von Kartoffeln in Deutschland lag 2010/2011 laut Statistischem Bundesamt bei 56,6 Kilogramm je Einwohner, 2000/2001 waren es noch 70 Kilogramm.Zunehmend gerne greifen die Menschen zu Kartoffelprodukten aus der Tiefkühltruhe: Waren es 2001 laut Statistik noch gut 362 000 Tonnen, stieg der Verbrauch auf rund 422 000 Tonnen im Jahr 2011. Im Jahr 2011 wurden Kartoffeln demnach auf knapp 260 000 Hektar angebaut. Mit Abstand am häufigsten wuchsen sie in Niedersachsen (rund 113 000 Hektar). 10,6 Millionen Tonnen Kartoffeln wurden 2012 geerntet, das waren nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums rund zehn Prozent weniger als 2011. dpa

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